OLG Düsseldorf
Beschluss
vom 08.06.2022
Verg 19/22
1. Die Teilnahme am Präqualifikationssystem dient der Entlastung des Bieters von der Beibringung der Eignungsnachweise, nicht jedoch ihrer Ersetzung. Die Erleichterung in Bezug auf die Beibringung ändert nichts daran, dass die Erfüllung der Eignungskriterien grundsätzlich vom Bieter nachzuweisen ist.
2. Die inhaltlichen Anforderungen an die Eignung und ihre Nachweise müssen für jeden Bieter gleich sein, unabhängig davon, ob dieser präqualifiziert ist oder nicht. Auch bei einem präqualifizierten Bieter hat der öffentliche Auftraggeber daher zu prüfen, ob die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweise, die im konkreten Verfahren geforderten Eignungsangaben und Nachweise abdecken.
3. Fordert der öffentliche Auftraggeber die Angabe dreier mit der zu vergebenden Leistung vergleichbarer Referenzen, kann nur der Bieter die verlangten Angaben allein mit Verweis auf seine Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis leisten, für den dort drei Nachweise über mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Leistungen hinterlegt sind. Die Eintragung ersetzt insoweit lediglich die Eintragung in der Eigenerklärung Eignung.
vorhergehend:
VK Bund, Beschluss vom 06.04.2022 - VK 2-26/22
Tenor
Der Antragsgegnerin wird in dem Vergabeverfahren ### Erneuerung der Fahrzeugrückhaltesysteme ###, vorab gestattet, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung ### im offenen Verfahren die Erneuerung der Fahrzeugrückhaltesysteme im Mittelstreifen aus Beton und am äußeren Fahrbahnrand aus Stahl ###.
Einziges Zuschlagskriterium war der Preis (Ziff. 11.2.5. der Bekanntmachung). Die Bekanntmachung enthielt in Ziffer III.1.3, Technische und berufliche Leistungsfähigkeit, einen direkten Link zur Eigenerklärung Eignung. Deren Ziffer I. war mit "Verpflichtende Eignungsnachweise" mit dem Klammerzusatz
"Angaben sind immer vorzunehmen, soweit das Unternehmen nicht PQ-qualifiziert ist"
überschrieben. In Ziffer 1.4., Technische und berufliche Leistungsfähigkeit, wurde die Vorlage geeigneter Referenzen über die Ausführung von Bauleistungen in den letzten fünf Kalenderjahren, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind, gefordert, wobei Angaben zu drei Referenzen einzutragen waren.
Die Antragstellerin reichte fristgerecht ein Angebot ein, in dem sie ihre Präqualifizierungsnummer angab. Der PQ-Eintrag umfasst u.a. die Leistungsbereiche ### Ausstattung von Straßen und ### umfassende Bauleistungen für Fernstraßen und Straßen. Für den einschlägigen Leistungsbereich Ausstattung von Straßen sind drei Leistungen aus dem Bereich Fahrzeugrückhaltesysteme eingetragen. Dabei handelt es sich um Schutzplankenarbeiten an der Bundesautobahn ### zwischen der Rastanlage ### und ### über 13.000 Meter mit einem Auftragsvolumen von 1.500.000 Euro, Schutzplankenarbeiten an der Bundesautobahn ### Rastanlagen ### und ### über 13.000 Meter mit einem Auftragsvolumen von 1.230.000 Euro und Schutzplankenarbeiten an der Bundesautobahn ### im Bereich der Anschlussstelle ### über 611 Meter mit einem Auftragsvolumen von 220.000 Euro.
Mit Schreiben vom 14. Februar 2022 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134 GWB, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag nicht auf ihr Angebot zu erteilen. Es lägen keine drei vergleichbaren Referenzen vor. Aus dem PQ-Verzeichnis vergleichbar seien nur die 13.000 Meter Schutzplankenarbeiten an der Bundesautobahn ### der Rastanlage ### und dem ### und die 13.000 Meter Schutzplankenarbeiten an der Bundesautobahn ### zwischen den Rastanlagen ### und ###. Die weitere Referenz betreffend die Erneuerung der Schutzeinrichtung der Anschlussstelle ### umfasse hinsichtlich des Leistungsumfangs weniger als zehn Prozent der zu vergebenden Leistung. Es sei daher beabsichtigt der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Deren im Schreiben genannter Angebotspreis liegt geringfügig über dem der Antragstellerin.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2022 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Bezuschlagung des Angebots der Beigeladenen. Ihr Angebot sei preisgünstiger. Ein Ausschluss sei nicht erfolgt, dem Informationsschreiben sei lediglich zu entnehmen, dass eine Referenz weniger als zehn Prozent der hier zu vergebenden Leistung umfasse. Letztendlich ändere dies aber an ihrer Eignung ohnehin nichts, da sie präqualifiziert sei und Referenzen nicht gefordert seien. Mit Schreiben vom 22. Februar 2022 schloss die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin wegen unzureichendem Eignungsnachweis aus. Von den im Präqualifikationsverzeichnis gelisteten Leistungen müssten drei mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sein, was bezüglich der dort hinterlegten Schutzplankenarbeiten im Bereich der Anschlussstelle R. nicht der Fall sei. Einem weiteren anwaltlichen Rügeschreiben vom 22. Februar 2022 war ebenfalls kein Erfolg beschieden.
Die Antragstellerin beantragte darauf am 24. Februar 2022 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens, das sie gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Antragsgegnerin richtete, mit dem Ziel, dieser aufzugeben, ihr Angebot in der Wertung zu belassen. Zu dessen Begründung führte sie aus, es fehle bereits an einem Ausschluss, das entsprechende Feld in der Mitteilung vom 14. Februar 2022 sei nicht angekreuzt gewesen. Ihr Angebot könne nicht wegen angeblich fehlendender Referenzen unberücksichtigt bleiben. Von präqualifizierten Unternehmen sei an keiner Stelle die Vorlage von Referenzen gefordert gewesen. Soweit in der Eigenerklärung Eignung drei vergleichbare Referenzen anzugeben gewesen seien, sei diese Erklärung gerade abzugeben gewesen, falls keine PQ-Nummer vorhanden wäre. Dies decke sich mit den EU-Teilnahmebedingungen, nach denen präqualifizierte Unternehmen den Nachweis ihrer Eignung durch Eintrag in die Liste des Vereins für Präqualifikation führten. So sehe dies auch § 6b Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU vor, von der in § 6a Nr. 3 lit. a VOB/A-EU vorgesehenen Möglichkeit, auch von präqualifizierten Bietern weitere Nachweise zu fordern, habe die Auftraggeberin gerade keinen Gebrauch gemacht. Doch selbst wenn man eine Forderung dreier vergleichbarer Referenzen auch von präqualifizierten Bietern annehmen wolle, fehle es jedenfalls an der nach § 16 VOB/A-EU vor einem Ausschluss erforderlichen Nachforderung, auf die hin sie ausreichende Referenzen vorlegen werde. Im Übrigen seien aber auch die von ihr hinterlegten Referenzen durchaus vergleichbar. Der geringere Umfang der Schutzplankenarbeiten im Bereich der Anschlussstelle ### rechtfertige Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit nicht, entscheidend sei die technische Vergleichbarkeit. Wer 600 Meter bauen könne, könne auch 12 Kilometer bauen.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 6. April 2022 der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Antragsgegnerin, aufgegeben, die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Antragsgegnerin sei die Bundesrepublik Deutschland. Zwar werde in der Auftragsbekanntmachung unter 1.1 die Antragsgegnerin genannt, in der Aufforderung zur Angebotsabgabe werde jedoch darauf hingewiesen, dass der Auftrag im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland vergeben werde. In der Sache sei der Nachprüfungsantrag begründet. Dass auch präqualifizierte Unternehmen gegebenenfalls Referenzen vorzulegen hätten, sei in der Auftragsbekanntmachung nicht transparent gefordert. Zwar sei die über einen Direktlink unmittelbar abrufbare Eigenerklärung Eignung Teil der Bekanntmachung, auch werde dort unter Punkt I.4 die Vorlage vergleichbarer Referenzen gefordert. Allerdings enthalte das Formular schon zu Beginn die Einschränkung, dass Angaben nur dann vorzunehmen seien, soweit das Unternehmen nicht PQ-qualifiziert sei. Es werde folglich schlicht auf das Vorhandensein beziehungsweise das Nichtvorhandensein einer PQ-Qualifizierung abgestellt. Dieses Verständnis stützen auch die EU-Teilnahmebedingungen, nach deren Punkt 7.1 präqualifizierte Unternehmen den Nachweis der Eignung durch Eintrag in die Liste führten.
Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin als Vertreterin der Bundesrepublik Deutschland fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit einem Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen verbunden. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die in § 122 Abs. 3 GWB geschaffene Möglichkeit, den Nachweis der Eignung durch die Teilnahme an einem Präqualifikationssystem zu erbringen, ändere an der grundsätzlichen Pflicht des Bieters zum Nachweis seiner Eignung nichts, wie Erwägungsgrund 84 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU klarstelle. Elemente der Prüfung, wie die Vergleichbarkeit der im PQ-Verzeichnis hinterlegten Leistungen mit der ausgeschriebenen, die nach § 6a Nr. 3 lit. a VOB/A-EU Grundlage des Nachweises seien, würden durch Präqualifikationsprüfung nicht abgedeckt, und müssten daher positiv festgestellt werden. Diese Prüfung erschöpfe sich auch nicht in der Frage, ob sie dem gleichen Leistungsbereich entspräche, sondern umfasse auch die Prüfung der Vergleichbarkeit nach Umfang und Auftragswert. Anderes sei auch der in Bezug genommenen Eigenerklärung Eignung nicht zu entnehmen. Danach hatten auch im Präqualifikationsverzeichnis eingetragen Unternehmen die Angaben vorzunehmen gehabt, "soweit" sie nicht PQ-qualifiziert sind. Soweit diese Unternehmen folglich nicht für die unter Punkt 1.4 geforderten drei vergleichbaren Referenzen präqualifiziert waren, hätten sie folglich vergleichbare unter 1.4 angeben müssen. Dies gelte hinsichtlich der Antragstellerin jedenfalls in Bezug auf Erneuerung der Schutzeinrichtung an der Anschlussstelle ###, die weniger als drei Prozent des ausgeschriebenen Auftragsvolumens abdecke. Über die Erfolgsaussichten hinaus seien die ausgeschriebenen Maßnahmen auch dringlich. Sie seien Teil einer Gesamtbaumaßnahme zur Wiederherstellung des Autobahnabschnitts mit einer stark geschädigten Fahrbahndecke, die wegen unterschiedlicher Griffigkeit und mangelhaftem Wasserabfluss einen Unfallschwerpunkt bilde. Dabei müsse der Bauzeitraum wegen des ebenfalls unfallträchtigen Wegfalls einer Fahrspur und des Standstreifens so kurz wie möglich gehalten und möglichst vor Beginn des Winters abgeschlossen werden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes (Az.: VK 2-26/22) vom 6. April 2022 aufzuheben;
2. ihr zu gestatten, das Vergabeverfahren fortzusetzen und den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen;
3. die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Antrags auf Vorabgestattung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde sowie den Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags zurückzuweisen.
Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer. Die auf einen gerade nicht erklärten Angebotsausschluss hinauslaufende Nichtwertung ihres Angebots wegen fehlender Referenz sei von den Vergabeunterlagen nicht gedeckt. Die Antragsgegnerin habe von präqualifizierten Bietern gar keine Referenzen gefordert. "Soweit" beziehe sich allein auf die Einschlägigkeit der Präqualifikation. Derart einschlägig präqualifizierte Bieter hatten Punkt I.4 der Eigenerklärung Eignung nicht auszufüllen. Von daher könne dahinstehen, ob auch von präqualifizierten Bietern vergleichbare Referenzen gefordert werden dürften. Es sei allerdings das Wesen der Präqualifikation, dass eine vollständige Vergleichbarkeit gerade nicht gegeben sein müsse. Diese verfolge das Ziel, den Bieter im Rahmen einer abstrakten vorgezogenen Eignungsprüfung von der Vorlage der Eignungsnachweise zu entlasten; sie sei gerade nicht auftragsbezogen.
II.
Der auf Vorabentscheidung über den Zuschlag gerichtete Antrag der Antragsgegnerin hat Erfolg.
1. Richtige Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin ist Die A. GmbH des Bundes.
a) Seit dem 1. Januar 2021 wird die Verwaltung der Bundesautobahnen gemäß Art. 90 Abs. 2 Satz 1 GG in Bundesverwaltung geführt. Nach § 1 Abs. 1 InfrGG hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Planung, den Bau, den Betrieb, die Erhaltung, die Finanzierung und die vermögensmäßige Verwaltung von Bundesautobahnen, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, zur Ausführung auf eine Gesellschaft privaten Rechts übertragen. Das ist die am 13. September 2018 gegründete A. GmbH des Bundes, der die vorgenannten Aufgaben vollständig übertragen worden sind (Herber, NZV 2021, 57). Nach § 10 Abs. 2 FemstrÜG vom 14. August 2017 tritt die Gesellschaft des privaten Rechts im Sinne des InfrGG zum 1. Januar 2021 im Rahmen der ihr zur Ausführung übertragenen Aufgaben anstelle des bisher verfahrensbeteiligten öffentlichen Auftraggebers in die bis zum 31. Dezember 2020 bereits anhängigen Vergabe- und Gerichtsverfahren sowie in sonstige Verfahren und Rechtspositionen ein. Damit ist seit dem 1. Januar 2021 grundsätzlich Die A. GmbH des Bundes die richtige Antragsgegnerin (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Mai 2021 - Verg 13/21, NZBau 2021, 694 Rnrn. 30, 31).
Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus den Vergabeunterlagen. Soweit es unter Ziffer D.1 der EU-Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes heißt, dass beabsichtigt sei, die oben genannten Leistungen im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland, diese vertreten durch Die A. GmbH des Bundes zu vergeben, ist dies nicht im Sinne einer echten Stellvertretung zu verstehen (Senatsbeschluss vom 6. April 2022 - Verg 32/21), sondern lediglich als Hinweis auf die Zuständigkeit des Bundes für den Autobahnbau in kostenrechtlicher Hinsicht. Vor dem Hintergrund des in § 1 Abs. 1 InfrGG, § 10 Abs. 2 FemstrÜG gesetzlich angeordneten vollständigen Übergangs in Bezug auf Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung der Bundesautobahnen spricht nichts dafür, dass die vorliegend ausgeschriebenen Leistungen entgegen den gesetzlichen Vorgaben doch unmittelbar von der Bundesrepublik Deutschland beauftragt werden sollten.
b) Soweit die Vergabekammer die Bundesrepublik Deutschland als Antragsgegnerin im Rubrum aufgeführt hat, handelt es um eine Falschbezeichnung, die der Senat berichtigen kann (Senatsbeschluss vom 6. April 2022 - Verg 32/21).
Zwar ist der Nachprüfungsantrag explizit gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet, auch Prozesshandlungen sind jedoch auslegungsfähig und -bedürftig (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., Vor § 128 Rn. 25). Bei verfahrenseinleitenden Anträgen ist davon auszugehen, dass die Partei das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht (BGH, NJW-RR 1995, 1183). So schadet eine falsche Bezeichnung des Antragsgegners, die zu den Formerfordernissen des § 161 Abs. 2 GWB gehört, dann nicht, wenn klar erkennbar ist, wer als der eigentliche Adressat des Antrags gemeint ist. In diesen Fällen kann trotz anders lautenden Nachprüfungsantrags der eigentliche Auftraggeber als Beteiligter benannt und das Rubrum entsprechend berichtigt werden. Dies gilt bei einer fehlerhaften Bezeichnung des Antragsgegners vor allem dann, wenn sich der Nachprüfungsantrag gegen den Vertreter statt gegen den vertretenen Antragsgegner richtet, aber nach den Umständen die Stellung als Vertreter erkennbar war und der Vertreter prozessführungsbefugt ist (Senatsbeschluss vom 16. Oktober 2019 - Verg 13/19, NZBau 2020, 670 Rn. 30, Rn. 31).
Es ist nicht ersichtlich, dass es der Antragstellerin gerade auf die Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland ankam, sondern sie hat den rechtlichen Bedeutungsgehalt der Erklärung unter Ziffer D.1 der EU-Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes, dass beabsichtigt sei, die oben genannten Leistungen im Namen und für Rechnung der Bundesrepublik Deutschland, diese vertreten durch Die A. GmbH des Bundes, zu vergeben, verkannt und im Sinne einer echten Stellvertretung verstanden. Wäre ihr bewusst gewesen, dass Die A. GmbH des Bundes nicht lediglich Vertreterin, sondern selbst die ausschreibende öffentliche Auftraggeberin ist, hätte sie den Antrag gegen diese gerichtet.
2. Die Voraussetzungen für eine Vorabgestattung des Zuschlags sind erfüllt. Nach § 176 Abs. 1 Satz 1 GWB kann das Gericht den weiteren Fortgang des Vergabeverfahrens und den Zuschlag gestatten, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zur Entscheidung über die Beschwerde die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Mit Blick auf den Anspruch der Bieter auf effektiven Rechtsschutz im Vergabenachprüfungsverfahren sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde das vorrangig zu bewertende Kriterium, dem bei der Gesamtabwägung das wesentliche Gewicht zukommt (Senatsbeschluss vom 9. Juli 2012 - Verg 18/12, BeckRS 2012, 23825). Je größer die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der sofortigen Beschwerde des Auftraggeber oder des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters im Sinne einer Zurückweisung des Nachprüfungsantrags ist, umso höher ist in der Regel auch das Interesse an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zu gewichten und umgekehrt (Senatsbeschluss vom 28. Juni 2017 - Verg 24/17, BeckRS 2017, 119936 Rn. 10).
Der Senat ist hier auf der Grundlage der vorzunehmenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass das Interesse der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit an einem raschen Fortgang und Abschluss des Vergabeverfahrens dem Interesse der Antragstellerin, den Abschluss des Vergabeverfahrens bis zur Hauptsacheentscheidung im Beschwerdeverfahren hinauszuschieben und solange ihre Chancen auf die Erteilung des Zuschlags zu wahren, überwiegt. Bei der erforderlichen Gesamtabwägung hat der Senat vor allem berücksichtigt, dass die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung gering sind und die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin dementsprechend aller Voraussicht nach Erfolg haben wird.
3. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin hat aller Voraussicht nach Erfolg. Der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen eines inhaltlich nicht den Anforderungen entsprechenden Eignungsnachweises zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden und verletzt sie daher nicht in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
a) Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin wegen eines inhaltlich nicht den Anforderungen entsprechenden Eignungsnachweises im Hinblick auf die geforderte technische und berufliche Leistungsfähigkeit ausgeschlossen. Bereits das Informationsschreiben vom 14. Februar 2022 enthält bei lebensnaher Betrachtung eine Ausschlussentscheidung. Ein potentieller Bieter, dessen objektiver Empfängerhorizont für das Verständnis von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) im Vergaberecht maßgeblich ist (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 - Stadtbahnprogramm Gera), konnte die Nichtberücksichtigung des Angebots der Antragstellerin wegen Nichtvorliegens dreier vergleichbarer Referenzen eigentlich nur im Sinne eines Ausschlusses wegen eines inhaltlich nicht den Anforderungen entsprechenden Eignungsnachweises verstehen. Ein Kreuz im Feld
"Ihr Angebot wurde ausgeschlossen, weil Sie die von Ihnen geforderten ###-Nachweise nicht fristgerecht vorgelegt (...) haben"
war nicht veranlasst, weil die von der Antragstellerin im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten drei Reverenzen nicht fehlen, sondern eine davon inhaltlich nicht den Anforderungen entspricht. Unabhängig davon hat die Antragsgegnerin in ihrem Antwortschreiben auf die Rüge der Antragstellerin vom 22. Februar 2022 gleich einleitend erklärt, dass das Angebot aufgrund der vorgenommenen Eignungsprüfung anhand des PQ-Nachweises auszuschließen sei.
b) Diese Ausschlussentscheidung ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Eine der drei von der Antragstellerin im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Referenzen genügt nicht den Anforderungen (§ 6a Nr. 3 lit. a VOB/A-EU).
aa) Die Antragstellerin verkennt die Reichweite des Eignungsnachweises durch Eintragung in das Präqualifikationsverzeichnis nach § 122 Abs. 3 GWB, § 6b Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU. Diese enthebt sie nicht davon, ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit durch drei nach Art und Umfang mit der ausgeschriebenen vergleichbare Referenzleistungen nachzuweisen; ihr wird lediglich die Führung dieses Nachweises erleichtert.
Der in § 122 Abs. 3 GWB, § 6b Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU geregelte Nachweis der Eignung durch Teilnahme an einem Präqualifikationssystem dient der Umsetzung von Artikel 64 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU. Der Bestimmung liegt ausweislich Erwägungsgrund 84 die Problematik zugrunde, dass eines der Haupthindernisse für die Beteiligung an öffentlichen Vergabeverfahren der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Beibringung einer Vielzahl von Bescheinigungen oder anderen Dokumenten, die die Ausschluss- und Eignungskriterien betreffen, ist. Der den Unternehmen, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen, durch die Führung des Eignungsnachweises entstehende Verwaltungsaufwand soll durch die Teilnahme am Präqualifikationssystem verringert werden (Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 122 Rn. 46).
Die Teilnahme am Präqualifikationssystem dient folglich der Entlastung des Bieters von der Beibringung der Eignungsnachweise, nicht jedoch ihrer Ersetzung. Die Erleichterung in Bezug auf die Beibringung ändert nichts daran, dass die Erfüllung der Eignungskriterien grundsätzlich vom Bieter nachzuweisen ist (Ziekow in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 122 Rn. 46 u. Verw. a. Erwägungsgrund 84 zur VRL). Deswegen müssen die Eintragungs- oder Zertifizierungsnachweise, die die Bieter nach Art. 64 Abs. 3 Unterabs. 1 der Vergaberichtlinie dem öffentlichen Auftraggeber vorlegen können, nach Unterabs. 2 die Nachweise, aufgrund deren die Eintragung in das Verzeichnis oder die Zertifizierung erfolgt ist, angeben. Der öffentliche Auftraggeber muss gerade die Möglichkeit haben, die im Verzeichnis hinterlegten Nachweise auf Vergleichbarkeit mit den von ihm nach Art und Umfang geforderten Eignungsnachweisen prüfen zu können.
Eine Ersetzung der von den übrigen Bietern verlangten Eignungsnachweise durch die Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis zu dem einschlägigen Leistungsbereich wäre auch mit dem für das Vergaberecht zentralen, in § 97 Abs. 2 GWB, Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 der Vergaberichtlinie normierten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Teilnehmer am Vergabeverfahren nicht zu vereinbaren. Der im Präqualifikationsverzeichnis eingetragene Bieter ist nur insoweit privilegiert, als er von der Beibringung der geforderten Eignungsnachweise entlastet und die inhaltliche Richtigkeit der hinterlegten Nachweise vermutet wird. Die inhaltlichen Anforderungen an die Eignungsnachweise gelten hingegen auch für ihn, da nur so das der Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dienende Eignungserfordernis gemäß § 122 Abs. 1 GWB, wonach Aufträge nur an fachkundige und leistungsfähige Unternehmen vergeben werden, gewährleistet ist. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass erstens alle Bieter gleichermaßen den ausgeschriebenen Auftrag sachgerecht werden erfüllen können, und zweitens der Auftraggeber anhand vorher festgelegter und für die Bieter transparenter Kriterien willkürfrei diejenigen Unternehmen auswählt, deren Angebote gewertet werden sollen. Dementsprechend ist der öffentliche Auftraggeber zur Prüfung der Bietereignung verpflichtet (Ziekow in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 122 Rn. 2).
Die inhaltlichen Anforderungen an die Eignung und ihre Nachweise müssen folglich für jeden Bieter gleich sein, unabhängig davon, ob dieser präqualifiziert ist oder nicht. Auch bei einem präqualifizierten Bieter hat der öffentliche Auftraggeber daher zu prüfen, ob die im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweise, die im konkreten Verfahren geforderten Eignungsangaben und Nachweise abdecken (Hövelberndt in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 6b VOB/A-EU Rn. 16). Fordert der öffentliche Auftraggeber - wie vorliegend - die Angabe dreier mit der zu vergebenden Leistung vergleichbarer Referenzen, kann nur der Bieter die verlangten Angaben allein mit Verweis auf seine Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis leisten, für den dort drei Nachweise über mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Leistungen hinterlegt sind. Die Eintragung ersetzt insoweit lediglich die Eintragung in der Eigenerklärung Eignung.
Erst im Rahmen der materiellen Eignungsprüfung kommt ihm dann wieder zugute, dass nach § 6b Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 VOB/A-EU die dort hinterlegten Angaben nicht ohne Grund in Zweifel gezogen werden. Mehr ist § 6b Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 VOB/A-EU nicht zu entnehmen. Insbesondere bestimmt dieser nicht, dass präqualifizierte Bieter von einer Vergleichbarkeit der Referenzen mit der ausgeschriebenen Leistung nach Art und Umfang befreit wären. Ein Bieter ist nur insoweit präqualifiziert, als die für ihn hinterlegten Angaben mit den Referenzanforderungen des öffentlichen Auftraggebers übereinstimmen.
bb) Die Antragsgegnerin hat den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit durch drei mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbarer Referenzen wirksam auch gegenüber den Bietern gefordert, die im Präqualifikationsverzeichnis eingetragen sind. Ein Link in der Auftragsbekanntmachung, durch den am Auftrag interessierte Unternehmen durch bloßes Anklicken, direkt zu dem Formblatt Eigenerklärung zur Eignung gelangen können, aus dem sich die Eignungsanforderungen ergaben, ist hierfür ausreichend (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2018 - Verg 24/18, NZBau 2019, 64 Rnrn. 35, 36).
Die Forderung dreier mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbarer Referenzen in Ziffer 1.4, Technische und berufliche Leistungsfähigkeit, war aus Sicht eines im Präqualifikationsverzeichnis eingetragenen Bieters auch an ihn gerichtet. Der Klammerzusatz "Angaben sind immer vorzunehmen, soweit das Unternehmen nicht PQ-qualifiziert ist" unter der Überschrift "I. Verpflichtende Eignungsnachweise" stand dem nicht entgegen.
(1) Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 - Stadtbahnprogramm Gera; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 18. Juli 2017, 11 Verg 7/17, BeckRS 2017, 121590 Rn. 59). Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter bzw. Bewerber, also einen abstrakten Adressaten kreis, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014, X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 Rn. 31 - Stadtbahnprogramm Gera).
Es kommt nicht darauf an, wie die Antragstellerin als einzelne Bewerberin die Unterlagen verstanden hat, sondern wie der durchschnittliche Bewerber des angesprochenen Bewerberkreises sie verstehen musste oder konnte. Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (Senatsbeschlüsse vom 21. Oktober 2015 - Verg 28/14, NZBau 2016, 235 Rn. 40 - BSI, sowie vom 5 November 2014 - Verg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Lampert in Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, Teil 4, GWB § 121 Rn. 77).
Kommen nach der Auslegung mehrere Verständnismöglichkeiten in Betracht oder können Unklarheiten oder Widersprüche nicht aufgelöst werden, geht dies zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers (Wirner in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkomm. VergabeR, 4. Aufl., § 121 Rn. 11). Die hieraus resultierende fehlende Vergleichbarkeit der Angebote oder Teilnahmeanträge, die eine solche vom Bieter oder Bewerber zunächst nicht erkannte Mehrdeutigkeit zur Folge hätte, würde aber dazu führen, dass ein Zuschlag nicht erteilt werden dürfte (Senatsbeschlüsse vom 13. Dezember 2017 - Verg 19/17, NZBau 2018, 242 Rn. 37 - LKW-Mautsystem III, und vom 28. März 2018 - Verg 52/17, NZBau 2018, 563 Rn. 31).
(2) Bei Anwendung dieser Grundsätze musste auch ein im Präqualifikationsverzeichnis eingetragener durchschnittlicher Bieter die Forderung dreier mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbarer Referenzen in Ziffer 1.4 der Eigenerklärung Eignung als an sich gerichtet verstehen.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter ist für das Vergaberecht zentral, allen Teilnehmern an Vergabeverfahren bekannt und bewusst. Jeder Bieter erwartet zu Recht, gegenüber anderen Bietern nicht benachteiligt zu werden. Vor diesem Hintergrund liegt ein dahingehendes Verständnis, der öffentliche Auftraggeber messe Bieter hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an den Eignungsnachweis mit zweierlei Maß, für jeden verständigen Bieter fern. Schon von daher wird jeder verständige, im Präqualifikationsverzeichnis eingetragene Bieter selbstverständlich davon ausgehen, dass auch er drei mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Aufträge vorweisen muss, wenn von nicht eingetragenen Bietern drei derartige Referenzen verlangt werden. Die Vorstellung, die eigene Privilegierung beziehe sich nicht nur auf die Entlastung von der Beibringung im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegter Referenzen, sondern dispensiere ihn auch von den an die geforderten Referenzen zu stellenden inhaltlichen Anforderungen, ist lebensfern.
Daran ändert auch der Klammerzusatz unter der Überschrift
"Angaben sind immer vorzunehmen, soweit das Unternehmen nicht PQ-qualifiziert ist"
nichts. Eine Befreiung im Präqualifikationsverzeichnis eingetragener Bieter von den in Ziffer 1.4 formulierten Referenzanforderungen ist dem schon deshalb nicht zu entnehmen, weil dieser nicht auf die Eintragung, sondern auf die Präqualifikation abstellt und dies auch ausdrücklich nur, soweit der Bieter präqualifiziert ist. Dem entnimmt der verständige, im Präqualifikationsverzeichnis eingetragene Bieter, dass er von Angaben zu Referenzen unter Ziffer 1.4 nur insoweit befreit ist, wenn und soweit im Präqualifikationsverzeichnis mindestens drei mit der ausgeschriebenen Leistung vergleichbare Nachweise hinterlegt sind.
Dies deckt sich mit Ziffer 7.1 der zu den Vergabeunterlagen gehörenden EU-Teilnahmebedingungen. Danach führen präqualifizierte Unternehmen den Nachweis der Eignung durch die Eintragung in die Liste des Vereins für Präqualifikation von Bauunternehmen "ggf. ergänzt durch geforderte auftragsspezifische Einzelnachweise", woraus klar vorgeht, dass die Eintragung an sich nicht von den geforderten Nachweisen befreit, sondern dass, soweit die hinterlegten Nachweise den auftragsspezifischen Anforderungen nicht genügen, diese durch Einzelnachweise zu ergänzen sind.
cc) Die Antragsgegnerin hat den im Präqualifikationsverzeichnis hinterlegten Nachweis über Schutzplankenarbeiten an der Bundesautobahn ### im Bereich der Anschlussstelle ### über 611 Meter mit einem Auftragsvolumen von 220.000 Euro zu Recht als mit der ausgeschriebenen Leistung nicht vergleichbar erachtet. Durch die Eignungsanforderungen soll sichergestellt werden, dass alle Bieter gleichermaßen den ausgeschriebenen Auftrag sachgerecht erfüllen können. Dies bedingt Anforderungen sowohl an die Art als auch an den Umfang geforderter Referenzarbeiten. Ein umfangreiches Bauvorhaben stellt andere Anforderungen an Leistungsfähigkeit und Logistik eines Unternehmens als ein punktueller Einsatz im Bereich einer Anschlussstelle. Von daher ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin diese lediglich von der Art vergleichbare, im Umfang aber nur etwa drei Prozent der ausgeschriebenen Leistung ausmachende Referenz für nicht ausreichend erachtet hat.
dd) Die Antragsgegnerin war auch nicht gehalten, die Antragstellerin vor einem Ausschluss ihres Angebots zur Vorlage einer dritten vergleichbaren Referenz aufzufordern. Die Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 16 Nr. 4 VOB/A-EU bezieht sich nicht auf Fälle, in denen geforderte Erklärungen und Nachweise zwar eingereicht wurden, diese aber inhaltlich nicht den Anforderungen entsprechen (Lausen in Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 13 VOB/A-EU Rn. 47). Derartige Angebote sind auszuschließen, ohne einer Nachforderung zugänglich zu sein. Eine solche ist nur bei körperlich "fehlenden" - oder wie es in § 16 Nr. 4 VOB/A-EU heißt: bei "nicht vorgelegten" - Erklärungen oder Nachweisen zugelassen, nicht aber bei solchen, die, wie im Fall der Antragstellerin, tatsächlich vorgelegt und nur inhaltlich unzureichend sind (vgl. Senatsbeschluss vom 27. November 2013 - Verg 20/13, NZBau 2014, 121, 123; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2012, 1 Verg 1/12, BeckRS 2012, 08234).
4. Ist somit der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vergaberechtskonform erfolgt, kann es im Interesse der Antragsgegnerin und der Allgemeinheit nicht hingenommen werden, dass der Baubeginn bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens hinausgeschoben wird. Die Arbeiten sind Teil der Instandsetzung der Bundesautobahn ###, die im fraglichen Abschnitt aufgrund ihrer stark beschädigten Fahrbahndecke wegen unterschiedlicher Griffigkeit und mangelhaftem Wasserabfluss einen Unfallschwerpunkt bildet. Dabei müssen alle erforderlichen Arbeiten im selben Zeitfenster ausgeführt werden, um die ebenfalls gefahrenträchtige Baustellensituation so kurz wie möglich zu halten.
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KG
Beschluss
vom 18.05.2022
Verg 7/21
Schriftsätze und sonstige Unterlagen, die Beteiligte im Vergabenachprüfungsverfahren mit der Maßgabe zu den Akten reichen, dass sie ganz oder teilweise den übrigen Beteiligten oder einem Teil von ihnen nicht zur Kenntnis gelangen sollen (sog. "geschwärzte" Unterlagen), werden insoweit weder Gegenstand der Akten der Vergabekammer noch Bestandteil der Gerichtsakten, welcher Entscheidung und Verhandlung zugrunde gelegt erklärten Willen des Beteiligten, der sie eingereicht hat, Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren. Im Hinblick auf das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der übrigen Beteiligten bleiben diese Unterlagen bei der Verhandlung und Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen unberücksichtigt (vgl. auch Senat, Beschluss vom 01.07.2020 - Verg 1001/20).*)
Tenor
Die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin zu tragen; im Übrigen findet eine Kostenerstattung im Beschwerdeverfahren nicht statt.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.986 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist ein im Zwischenverfahren ergangener Beschluss der Vergabekammer gewesen, mit dem sie der Antragstellerin und der Beigeladenen unter anderem Einsicht in Anlagen des jeweils anderen Beteiligten bewilligt hat. Diese Anlagen hatten die Antragstellerin und Beigeladene ihren Schriftsätzen mit der Maßgabe beigefügt, dass sie dem jeweils anderen Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis gegeben werden sollten, weil sie geheimhaltungsbedürftige Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthielten. Die Beigeladene hat sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die von der Vergabekammer angeordnete Offenlegung eines Teils der Anlagen gewandt, weil insoweit vorrangige Geheimhaltungsinteressen entgegenstünden. Die Antragstellerin hat den Beschluss der Vergabekammer verteidigt und geltend gemacht, sie benötige Einsicht in die Unterlagen, weil sie sonst ihre Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB nicht effektiv geltend machen könne. Der Antragsgegner hat sich zur Sache nicht geäußert. Nach Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zurückgenommen und haben die Antragstellerin und Beigeladene das Beschwerdeverfahren mit widerstreitenden Kostenanträgen in der Hauptsache für erledigt erklärt.
II.
Nachdem die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zurückgenommen hat und die Beteiligten daraufhin das Beschwerdeverfahren über den Umfang der von der Vergabekammer gewährten Akteneinsicht in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war noch gemäß § 175 Abs. 2 GWB in Verbindung mit § 71 S. 1 GWB nach billigem Ermessen über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht in erster Linie eine Kostenverteilung nach Maßgabe des aufgrund summarischer Prüfung festzustellenden voraussichtlichen Erfolges der erhobenen Beschwerde, da auch bei einer streitigen Entscheidung nach dem Anteil des Obsiegens und Unterliegens über die Kosten zu entscheiden gewesen wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 2. August 2021 - Verg 1/21 -). Danach waren hier der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen, weil die Beigeladene mit ihrer sofortigen Beschwerde obsiegt hätte. Von der Kostenerstattung auszuschließen war der Antragsgegner, der an dem Beschwerdeverfahren formell beteiligt ist, sich hieran aber nicht aktiv beteiligt hat.
1. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist nach § 171 Abs. 1 S. 1 GWB statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere nach Maßgabe des § 172 GWB form- und fristgerecht eingelegt gewesen. Anders als Beschlüsse über die Versagung von Akteneinsicht (vgl. § 165 Abs. 4 GWB) sind Beschlüsse, mit denen die Vergabekammer Akteneinsicht bewilligt, von den hierdurch betroffenen Beteiligten mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 2007 - Verg 40/07 -; Senat, Beschluss vom 1. Juli 2020 - Verg 1001/20), so dass die von der Gewährung von Akteneinsicht in ihre für geheimhaltungsbedürftig gehaltenen Anlagen betroffene Beigeladene ohne weiteres beschwerdebefugt ist.
2. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen hätte auch in der Sache Erfolg gehabt. Denn die Vergabekammer hat der Antragstellerin zu Unrecht Einsicht in Anlagen gewährt, deren Bekanntgabe die Beigeladene für einen Teil der übrigen Verfahrensbeteiligten, nämlich die Antragstellerin, untersagt hatte. Solche sog. "geschwärzten" Unterlagen oder Schriftsätze, die anderen Verfahrensbeteiligten nicht zugänglich gemacht werden sollen, werden weder Gegenstand der Akten der Vergabekammer noch Bestandteil der Gerichtsakten, welcher Entscheidung und Verhandlung zugrunde gelegt werden kann. Die Frage einer Akteneinsicht stellt sich daher hier von vornherein nicht. Allerdings liegt es in der autonomen Entscheidung eines Beteiligten, ob er Sachvortrag zur Grundlage des Nachprüfungsverfahrens machen möchte oder im Hinblick auf ein von ihm als überwiegend wichtig angesehenes Geheimhaltungsinteresse verbergen möchte. Nicht gedeckt von dieser Dispositionsbefugnis über den eigenen Sachvortrag und in sich widersprüchlich ist es, wenn nur die Nachprüfungsinstanzen oder ein Teil der anderen Verfahrensbeteiligten von ihm erfahren sollen. Solcher Sachvortrag kann nicht berücksichtigt werden, weil es den Nachprüfungsinstanzen verwehrt ist, Vorbringen, das anderen Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis gegeben worden ist und zu dem sie sich nicht äußern konnten, zur Grundlage ihres Verfahrens und ihrer Entscheidung zu machen. Dies würde jene Verfahrensbeteiligten in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzen und ist im Hinblick auf die Bindung der Nachprüfungsinstanzen an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) unzulässig.
Die von der Beigeladenen gegen ihr eigenes Rechtsschutzziel vertretene Auffassung, ihre für die Geheimhaltung von Sachvortrag in Anspruch genommenen Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, 14 GG könnten eine unter Verletzung rechtlichen Gehörs anderer Verfahrensbeteiligter ergehende Entscheidung rechtfertigen, geht fehl. Vielmehr geht das Grundrecht auf rechtliches Gehör vor. Rechtliches Gehör ist nicht nur ein "prozessuales Urrecht" des Menschen, sondern auch ein objektivrechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes schlechtehin konstitutiv ist (BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 -). Eine Relativierung dieses grundlegenden Verfahrensprinzips durch Abwägung mit grundrechtlich unterlegten Geheimhaltungsinteressen von Verfahrensbeteiligten kann nicht stattfinden (Senat, Beschluss vom 1. Juli 2020 - Verg 1001/20, unter IV.2. a) dd) der Gründe; Radu, Vergabe-Fokus, 05/2021, 18, 24). Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16 - in einem obiter dictum möglicherweise eine andere Auffassung vertreten hat (BGH, a.a.O.), folgt der Senat dem aus den genannten Gründen nicht. Abgesehen davon bezieht sich die Entscheidung aber auch auf die Akteneinsicht in die Vergabeakten, um die es hier gerade nicht geht. Dort ist die Rechtslage vollkommen anders und bestimmt sich die Akteneinsicht nach den Vorgaben der §§ 165 GWB, die eine mit dem Grundrecht auf rechtliches Gehör vereinbare Auslegung ermöglichen und auch erfordern.
Auch der von der Antragstellerin geltend gemachte Gesichtspunkt, ohne die Gewährung von Einsicht in Unterlagen, die Verfahrensbeteiligte im Nachprüfungsverfahren einreichen, aber anderen Beteiligten nicht zugänglich gemacht werden sollen, sei ein effektiver Schutz ihrer Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB nicht möglich, verfängt nicht. Die Antragstellerin übersieht, dass die Nachprüfungsinstanzen Sachvortrag, der nicht allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden soll, in ihrem Verfahren und ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen dürfen, weil dies diese Verfahrensbeteiligten in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG verletzen würde. Folglich entsteht anderen Beteiligten gerade kein Nachteil durch solchen Sachvortrag, weil ihn die Nachprüfungsinstanzen nicht berücksichtigen dürfen. Umgekehrt hat der von dem Sachvortrag ausgeschlossene Verfahrensbeteiligte aber entgegen der Ansicht der Antragstellerin jedenfalls vergaberechtlich keinen Anspruch auf Zugang zu Unterlagen und Sachvortrag, der ihm nach dem Willen des Beteiligten, der ihn zu den Akten des Nachprüfungsverfahrens gereicht hat, nicht zugänglich gemacht werden soll. Insbesondere folgt aus dem Akteneinsichtsrecht des § 165 GWB nichts anderes. Dieses Recht bezieht sich in erster Linie auf die Vergabeakten und auf die Akten der Vergabekammer nur, soweit Vorbringen der Beteiligten überhaupt berücksichtigungsfähiger Gegenstand dieser Akten geworden ist, was bei Vorbringen, das einem Teil der Beteiligten nicht zugänglich gemacht werden darf, wie eingangs ausgeführt, von vornherein nicht der Fall ist (vgl. ausführlich Radu, VergabeFokus, 05/2021, 18, 24 f.).
Eine entsprechende Auffassung, dass die Nachprüfungsinstanzen ohne Gewährung rechtlichen Gehörs zum Nachteil der Verfahrensbeteiligten entscheiden könnten, ist schließlich auch nicht den von der Beigeladenen für diese von ihr vertretene Rechtsauffassung in Bezug genommenen Entscheidungen des EuGH zu entnehmen. In seinem Urteil vom 7. September 2021 - C-927/19 - ging es nicht um die Frage, ob und inwieweit Beteiligten eines Nachprüfungsverfahrens Zugang zu Sachvortrag anderer Beteiligter, die diese dem betreffenden anderen Beteiligten vorenthalten wollen, zu gewähren ist. Vielmehr ging es ausschließlich um die Einsicht in die Vergabeakten, also die das Vergabeverfahren dokumentierenden und betreffenden Akten des öffentlichen Auftraggebers und den Zugang der am Nachprüfungsverfahren Beteiligten zu diesen Vergabeakten im Nachprüfungsverfahren (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 103, 112). Auch das weitere von der Beigeladenen angeführte Urteil vom 14. Februar 2008 - C-450/06 - betraf lediglich den Umgang mit möglicherweise geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen, die dem öffentlichen Auftraggeber in einem Vergabeverfahren zugänglich geworden sind und die Frage, ob und inwieweit Beteiligte in einem Nachprüfungsverfahren hierauf zugreifen können (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 39 ff., 55). Die hierbei bestehenden Konflikte zwischen den widerstreitenden Informations- und Geheimhaltungsinteressen der Beteiligten lösen im deutschen Vergaberecht die §§ 70, 165 GWB. Auch dies hat zunächst nichts mit der Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen über den Nachprüfungsantrag zu tun, und hierzu hat sich auch der EuGH in den beiden von der Beigeladenen angeführten Urteilen nicht verhalten. Insoweit gelten die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die wegen des Grundrechts auf rechtliches Gehör keine Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen erlauben, die sich auf Umstände stützen, die diesen Beteiligten nicht zur Kenntnis gelangt sind und zu denen sie sich nicht äußern konnten. Nichts anderes folgt im Übrigen auch aus den angeführten einfachgesetzlichen Regelungen. Diese wahren vielmehr die verfassungsrechtlichen Vorgaben und sind einer diese Vorgaben nicht beachtenden Auslegung nicht zugänglich (Senat, Beschluss vom 8. Januar 2020 - Verg 7/19 -). Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16 - in einem obiter dictum möglicherweise eine andere Auffassung vertreten hat (BGH, a.a.O.), folgt der Senat dem aus den angeführten Gründen nicht. Ob und inwieweit bei übergeordneten öffentlichen Geheimhaltungsinteressen etwas anderes gelten kann (vgl. § 164 Abs. 1 GWB), kann dahinstehen. Bloße wirtschaftliche Interessen anderer Beteiligter rechtfertigen jedenfalls keine die Vorgaben des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) missachtende Entscheidung der Vergabenachprüfungsinstanzen.
III.
Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren gemäß § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO auf ein Zehntel des nach § 50 Abs. 2 GKG für das Beschwerdeverfahren über den Nachprüfungsantrag selbst maßgeblichen Streitwertes festzusetzen (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Dezember 2007 - Verg 40/07 -). Eine Anwendung des § 50 Abs. 2 GKG kommt bei einem Beschwerdeverfahren, das sich auf einen lediglich Fragen der Akteneinsicht betreffenden Beschluss der Vergabekammer in einem Zwischenverfahren bezieht, nicht in Betracht (vgl. etwa Elzer in: Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 50. Auflage 2020, § 50 GKG Rn. 4 m.w.N.), weil die Entscheidung nicht die Auftragsvergabe als solche zum Gegenstand hat und die Anknüpfung an den Wertansatz als pauschaliertem Gewinn nicht passend erscheint (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2020 - Verg 1001/20). Von den gemäß § 50 Abs. 2 GKG maßgeblichen 5% des Bruttoauftragswertes nach Maßgabe des Angebotes der Antragstellern - das sind 209.865,67 Euro - entsprach es vorliegend billigem Ermessen im Sinne des § 3 ZPO ein Zehntel als Streitwert für das auf die Akteneinsicht bezogene Beschwerdeverfahren anzusetzen, mithin 20.986 Euro (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2020 - Verg 1001/20).
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VK Bund
Beschluss
vom 19.01.2022
VK 1-138/21
1. Grundsätzlich entspricht es der normalen Rollen- und Risikoverteilung im Wettbewerb, wenn sich ein Vorauftragnehmer an der Ausschreibung eines Folgeauftrags beteiligt.
2. Wettbewerbsvorsprünge eines Bieters, der sich aufgrund der Ausführung eines Vorauftrags bereits auf die Besonderheiten des Auftraggebers eingestellt hat, bedürfen anders als die Mitwirkung eines sog. Projektanten an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens keines Ausgleichs durch den Auftraggeber.
In dem Nachprüfungsverfahren
[
]
wegen der Vergabe "Rahmenvereinbarung zum Betrieb des Gewässerbehandlungsschiffes [
] zur Neutralisation versauerter [
], Vergabenummer [
], EU-Bekanntmachung [
],
hat die 1. Vergabekammer des Bundes durch den Vorsitzenden Direktor beim Bundeskartellamt Behrens, die hauptamtliche Beisitzerin Leitende Regierungsdirektorin Brauer und den ehrenamtlichen Beisitzer Stauf nach Lage der Akten am 19. Januar 2022
beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig.
Gründe:
I.
1. Die Antragsgegnerin führt derzeit ein offenes Verfahren zur Vergabe einer "Rahmenvereinbarung zum Betrieb des Gewässerbehandlungsschiffes [
] zur Neutralisation versauerter [
] in der [
]" durch. Der Auftrag besteht ganz überwiegend in der Lieferung und dem Einbringen von circa 10.000 t Neutralisationsmittel in drei Seen, hinzu kommt der Betrieb und die Überwachung des von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Gewässerbehandlungsschiffs. Die Vertragslaufzeit beträgt ein Jahr. Sie kann verlängert werden.
Die Beauftragung der konkreten Leistungen soll durch einen separaten auftragsbezogenen Leistungsabruf sowie durch Einweisungen durch den Auftraggeber vor Ort erfolgen. Die Leistungserbringung soll diskontinuierlich erfolgen. In der EU-Bekanntmachung vom [
] 2021 (Tag der Absendung) wurden ein geschätzter Wert sowie ein Höchstwert des Auftragsvolumens angegeben. In Ziffer VI.3) der Bekanntmachung sowie in der "Angebotsanfrage" vom 1. Oktober 2021 (Seite 1 f.) hieß es:
"Bei den im Leistungsverzeichnis ausgewiesenen Einzelleistungen handelt es sich nach Art und Umfang um Schätzungen aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Sie dienen lediglich der Angebotsbewertung zu vergaberechtlichen Zwecken. Auf die Erbringung der Leistungen hat der Auftragsnehmer somit keinen Anspruch, dem gemäß kommt auch eine Umlageerstattung aus nicht beauftragten Leistungen nicht in Betracht."
Im Leistungsverzeichnis ("Angebotsabfrage") finden sich für drei Gewässer Positionen zum Neutralisationsmittel. In der Ausschreibung werden diese erstmalig mit einem Einheitspreis in Mio. Mol (Bezeichnung der physikalischen Stoffmenge) anstelle von Tonnen ausgeschrieben. Anzugeben ist der Neutralisationswert (Neq-Wert) der zum Einsatz kommenden Mittel (Weissfeinkalk bzw. carbonatischer Kalk). Dieser Neq-Wert ist durch eine Laboruntersuchung zu ermitteln und einzutragen. Mithilfe einer Formel in der Leistungsbeschreibung ist der Wert in Tonnen umzurechnen und ebenfalls anzugeben (Ziffer 2.6.3, Seite 24).
Die Angebotsabfrage lautet:
"01.01 01 Betrieb GWBS [
]
[
]
01.01.01300
50002980: 120,000 Megamo
Liefern, transportieren und umschlagen von Branntkalk (CaO).
Vom Bieter ist die Menge an Neutralisationsmittel einzutragen, mit der geforderten ME MegaMol = Mio. Mol Alkalinität (siehe Tab. 5 der LB) neutralisiert werden können.
Die Berechnung der benötigten Neutralisationsmittelmenge ist in der LB (Kapitel 2.6.3) erläutert.
ermittelte Neutralisationsmittelmenge in to:
Das entsprechende Produktdatenblatt und die Ergebnisse der Laboruntersuchung zur Bestimmung des Neq-Wertes nach DIN EN 12945 (Verfahren A) sind dem Angebot beizufügen.
ermittelter Neq-Wert:
Das Produktdatenblatt hat nachstehende Angaben zu enthalten:
- Herkunft des Feststoffes (Lagerstätte), Art. z.B. Marmor/Kalkstein/Kreide
- Lagerungsdichte
- CaO-Anteil
- Angabe zu weiteren Bestandteilen (Massenanteil) - Reaktivität t60
Die Nachweisführung der Neutralisationsmittellieferung erfolgt mittels Lieferschein in Tonnage und umgerechnet in MegaMol.
Im Rahmen der Eigenüberwachung sind bei jeder 6ten Lieferung Rückstellproben (siehe Punkt 2.6.4) zu entnehmen.
[
]
01.02 02 Betrieb GWBS [
]
[
]
01.02.01200
5002982: 30,000 Megamo
Lieferung CaCO3-basierter Feststoff.
Liefern, transportieren und umschlagen von CaCO3-basiertem Feststoff.
Vom Bieter ist die Menge an Neutralisationsmittel einzutragen, mit der geforderten ME MegaMol = Mio. Mol Alkalinität (siehe Tab. 6 der LB) neutralisiert werden können.
Die Berechnung der benötigten Neutralisationsmittelmenge ist in der LB (Kapitel 2.6.3) erläutert.
Neutralisationsmittelmenge in to:
Das entsprechende Produktdatenblatt und die Ergebnisse der Laboruntersuchung zur Bestimmung des Neq-Wertes (siehe Anlage 10) sind dem Angebot beizufügen.
ermittelter Neq-Wert:
Das Produktdatenblatt hat nachstehende Angaben zu enthalten:
- Herkunft des Feststoffes (Lagerstätte), Art. z.B. Kalkstein, Marmor, Kreide
- CaCO3-Anteil
- Angabe zu weiteren Bestandteilen (Massenanteil) - Lagerungsdichte
- Korngrößenverteilung mit Angabe des Messverfahrens
- Neutralisationsäquivalent (Neq-Wert) beim pH-Wert 6,5 (siehe Kap. 2.6 und Anlage 10)
Die Nachweisführung der Neutralisationsmittellieferung erfolgt mittels Lieferscheine etc.
Im Rahmen der Eigenüberwachung sind bei jeder 6ten Lieferung Rückstellproben (siehe Punkt 2.6.4) zu entnehmen.
01.03 03 Betrieb GWBS [
]
[
]
01.03.00100
5002984: 5,000 Megamo
Lieferung CaCO3-basierter Feststoff.
Liefern, transportieren und umschlagen von CaCO3-basiertem Feststoff.
Vom Bieter ist die Menge an Neutralisationsmittel einzutragen, mit der geforderten ME MegaMol = Mio. Mol Alkalinität (siehe Tab. 6 der LB) neutralisiert werden können.
[
]"
In der Leistungsbeschreibung (Seite 23 f.) hieß es:
"Berechnung der erforderlichen Tonnage
Die erforderliche Tonnage des für den Einsatz vorgesehenen oxidischen und carbonatischen Kalkproduktes ist vom Bieter wie folgt zu bestimmen:
m [to] = Alk [Mio. mol] : Neq [mol:kg] 1000
mit:
m: Einzutragende Tonnage [to]
Alk: Alkalinität [Mio. mol = MegaMol]
Neq: Neutralisationsäquivalent [mol/kg]
Beispiel
A = 30 Mio. mol
Neq: 11, 2 mol/kg
m [to] = Alk [Mio. mol] : Neq [mol:kg] 1000 = 30 [Mio. mol] : 11,2 [mol:kg] 1000 = 2.679 to
Die ermittelte Tonnage an oxidischen bzw. carbonatischem Kalkprodukt ist, auf volle Tonnen gerundet in den Lieferpositionen - im Leistungsverzeichnis als Menge einzusetzen.
Der Leistungsabruf sieht die einzubringende Alkalinität in Mio mol (MegaMol) vor. Hierfür berechnet der AG die erforderliche Austragszeit und Austragstonnage, welches Bestandteil des Abrufes und somit Vertragsbestandteil wird."
Mit Bieterinformation Nr. 2 vom 15. Oktober 2021 stellte die Antragsgegnerin den Bietern statistische Daten über pH-Werte, Eintragsmengen sowie Einsatzzeiten aus den Jahren 2018 bis 2021 zu den drei Tagebauseen zur Verfügung. Sie erhöhte die Abrufzeit von 14 auf 21 Tage. Der Forderung nach Mindestabnahmemengen trat sie unter Hinweis auf die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung und die soweit wie möglich beschriebenen vertragsgegenständlichen Leistungen entgegen.
Die [
] wandte sich mit zwei Bieterfragen an die Antragsgegnerin (vgl. Bieterinformationen Nr. 1 und 2, elektronische Vergabeakte). Kommanditisten der [
] sind [
] und [
]. Persönlich haftender Gesellschafter ist die [
], deren Geschäftsführer [
] und [
] sind.
Das Schwesterunternehmen [
] (auch hier sind Kommanditisten [
] und [
], persönlich haftender Gesellschafter ist die [
]) rügte mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten am 11. Oktober 2021, dass ein kalkulierbares Angebot nicht möglich sei, weil es an nachvollziehbaren Kalkulationsgrundlagen fehle.
Nach einer Nichtabhilfemitteilung der Antragsgegnerin leitete die [
] am 27. Oktober 2021 ein Nachprüfungsverfahren ein. Sie beabsichtige die Abgabe eines Angebots (so Seite 3 des Nachprüfungsantrags). Der Preis sei das einzige Zuschlagskriterium. Die laborative Bestimmung des abgefragten MegMol-Einheitspreises mit der Angabe des Neq-Wertes könne nur durch den Lieferanten, nicht aber den Bieter bestimmt werden. Zudem führe die Antragsgegnerin eine neue Vorschrift für die Neq-Wertbestimmung ein. Eine Abrufzeit von 21 Tagen sei bei Lieferengpässen (Abruf bei einem anderen Lieferanten) nicht mit der Prüfung der Produktqualität nach Neq-Wert zeitlich möglich. Die notwendigen betriebswirtschaftlichen Umlagen könnten nicht auf die Kalkposition (ganzjährig, mit Vorlaufzeit von 21 Tagen) kalkuliert werden. Es seien wie in der Vergangenheit Mindestabnahmemengen oder wenigstens eine Kompensation, z.B. für Lagerhaltung und Logistik, vorzusehen. Das Vorhalten von Personal sei ein zusätzlicher Kostenpunkt. Das Fehlen einer Mindestabnahmemenge führe zu einem entsprechenden Sicherheitszuschlag der Bieter und damit zu einer unnötigen Verteuerung des Beschaffungsvorgangs. Es fehle an einer Prüfung der Antragsgegnerin, inwieweit ein Mindesteinsatz für den jeweiligen See erforderlich sei. Auch eine Angabe von Jahreszeiten könne die Kalkulationsfähigkeit herstellen. Durch die Umstellung des Beschaffungskonzepts von Tonnage auf Reaktivität verschiebe sich die Forderung nach einem Erfolg im Sinne der Vertragserfüllung und Gewährleistung auf die Bieter. Es sei zudem möglich, dass ein Bieter den Tonnagepreis manipuliere, weil die Reaktivität durch minderwertigen Kalk beeinflusst werde. Ein solches Konzept könne vom Bieter und Leistungserbringer nicht selbstständig erbracht werden.
Mit Bietermitteilung Nr. 8 vom 16. November 2021 teilte die Antragsgegnerin mit:
In der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer am 23. November 2021, an der für die [
] ihre beiden Kommanditisten und in Personalunion Geschäftsführer der Komplementärin, [
] und [
], teilnahmen, sagte die Antragsgegnerin zu, die Angebotsfrist vom 30. November 2021 auf den 17. Dezember 2021 zu verlängern und die Abrechnung der Neutralisationsmittel in einer Bieterinformation, insbesondere die Tolerierung von negativen Abweichungen vom angebotenen Neq-Wert, klarzustellen und - soweit gefordert - die Angabe von Neq-Werten in Produktdatenblättern der Lieferanten zu streichen.
Die Bieterinformation Nr. 9 vom 24. November 2021 lautete:
(
)
Die ### GmbH & Co. KG erklärte daraufhin den Nachprüfungsantrag mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten am 1. Dezember 2021 "unter der Maßgabe, dass die auf jeder Seite entstandenen Kosten jede Partei selbst trägt" für erledigt.
In einer weiteren Bieterinformation Nr. 11 vom 3. Dezember 2021 hieß es:
(
)
In der Bieterinformation Nr. 12 vom 8. Dezember 2021 hieß es:
(
)
Am 10. Dezember 2021 rügte die [
] über den bisherigen Verfahrensbevollmächtigten der [
] das Vergabeverfahren der Antragsgegnerin als vergabefehlerhaft. Die Leistungsabfrage in MegaMol unter Anwendung eines Neq-Wertes mit darauf basierender Berechnungsformel sei nicht hinreichend und eindeutig beschrieben. Am 13. Dezember 2021 ergänzte sie die Rüge um den Vortrag, dass sämtliche möglichen Lieferanten ihre Angebote zurückgezogen oder keine Lieferbereitschaft angezeigt hätten. Die Lieferanten seien nur zur Lieferung nach Maßgabe ihrer Produktdatenblätter ohne Neq-Wert bereit. Sie stellte eine weitere Bieterfrage.
Die Antragsgegnerin veröffentlichte darauf die Bieterinformation Nr. 13 vom 15. Dezember 2021:
(
)
2. Die [
] beantragte mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten von 15. Dezember 2021 bei der Vergabekammer des Bundes die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am selben Tag an die Antragsgegnerin übermittelt.
a) Der Nachprüfungsantrag sei zulässig. Die Antragstellerin sei nicht identisch mit der Antragstellerin des Verfahrens VK 1-120/21, der [
]. Auch wenn der Geschäftsführer, [
], für beide Unternehmen auftrete, mache dies noch kein wirtschaftlich verbundenes Unternehmen aus. Nunmehr beabsichtige die [
] die Abgabe eines Angebots auf die Angebotsabfrage vom 1. Oktober 2021, während die [
] mit Schreiben vom 15. Dezember 2021 erklärt habe, kein Angebot abzugeben.
Der Nachprüfungsantrag sei begründet. Der Antragstellerin sei es unzumutbar, die Leistung des Kalkeinsatzes, die ca. 90% des Leistungsumfangs bzw. -wertes umfasse, zu kalkulieren. Die Leistungsabfragen seien aufgrund der abgeforderten Mengenangabe in MegaMol unter Anwendung eines Neq-Wertes mit darauf basierender neuer Berechnungsformel nicht hinreichend und eindeutig beschrieben. Die von der Antragsgegnerin herangezogene Analyse der [
] GmbH [
] sei nur eine Einzelprüfung gewesen und könne nicht Kalkulationsgrundlage für die ausgeschriebene Menge und den Leistungszeitraum sein. Die Analysen in den Bieterinformationen 8 und 12 zeigten, dass eine Spannbreite und Abweichung der Werte von weit mehr 15% vorliege. Die zugesagte Toleranzabweichung von 15% werde somit bereits mit der Angebotsaufforderung überschritten und bestehe in einer Mehrmengenlieferung ohne Vergütung durch die Bieter. Der Neq-Wert könne zudem nur in einem Labor bestimmt werden, nicht von der Antragstellerin selbst. Bei Lieferengpässen sei ein Abruf bei einem anderen Lieferanten nicht möglich, insbesondere nicht innerhalb der Abruffrist von 21 Tagen, da dessen Produktqualität und der Neq-Wert nur durch diesen selbst zu bestimmen seien.
Die Leistungsbeschreibung sei intransparent. Die Lieferanten könnten keine Kalkmenge in MegaMol liefern, da MegaMol keine marktgängige, handelsübliche Liefereinheit bzw. Liefermenge sei. Die angefragten Lieferanten seien sämtlich nicht bereit auf der Grundlage der Ausschreibung Verträge einzugehen. Kein Lieferant gebe einen bestimmten Neq-Wert mit oder ohne Schwankungsangabe an, der Bestandteil eines Produktdatenblatts und einer Gewährleistung bzw. Beschaffenheitszusage sei.
Die Rahmenvereinbarung sehe zudem keine Mindestabnahmepflicht vor und bürde der Antragstellerin ein unzumutbares Kalkulationsrisiko auf. So habe die Antragsgegnerin nach ihren eigenen Feststellungen keinen Beschaffungsbedarf, jedenfalls nicht für den See Skado. Bei den übrigen Seen habe sie keine Prüfungen hinsichtlich einer Mindestmenge vorgenommen. Die einzusetzende Kalkmenge erfolge nun über die von den Bietern aufgrund der Leistung in MegaMol zu errechnenden Tonnage. Diese müssten auch einen Preis in MegaMol angeben, aber nach Tonnage auf Nachweis abrechnen. Die Antragstellerin sei kaufmännisch nicht in der Lage die notwendigen betriebswirtschaftlichen Umlagen auf diese Kalkposition zu kalkulieren. Jegliches Wagnis und Risiko werde dem Bieter überlassen. Es seien zumindest Kompensationszahlungen für Kosten zu leisten, für die der Bieter keinen anderweitigen Ausgleich erhalte. Sonst müsse der Bieter einen entsprechenden Sicherheitszuschlag einkalkulieren, was zu einer Verteuerung des Beschaffungsvorgangs führe. Dies gelte auch im Hinblick auf die gewünschte "just in time" Lieferung zu tagesaktuellen Preisen bei gegenwärtig stark preisschwankenden Materialpreisen. Die Kalkulationsfähigkeit hänge auch von der Angabe von Jahreszeiten ab, wie in der Vergangenheit durch Angabe von Einbringungszeiten geschehen.
Zudem bleibe der Wettbewerb des Preises tatsächlich allein der Qualität des Materials überlassen, die bei jedem Bieter unterschiedlich sei, da Kalk ein Naturprodukt sei. Dies sei aber kein Zuschlagskriterium. Ein fairer Wettbewerb sei ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin müsse damit rechnen, dass Bieter den Tonnagepreis durch minderwertigen Kalk (Reaktivität) "manipulierten". Die Antragsgegnerin verfüge hingegen aus ihrem langjährigen wissenschaftlichen Monitoring heraus über die Kenntnis, welche Neutralisationsmittel bisher die beste Wirkung gezeigt hätten und ein vernünftiges Kosten-/Nutzenverhältnis aufwiesen. Die Antragstellerin könne lediglich die Angaben des Lieferanten weitergeben und versuchen, einen Tonnagepreis zu bestimmen, aber die MegaMol Angabe aufgrund des Neq-Wertes nicht bestimmen bzw. risikobewerten. Auch wenn sie selbst in den letzten Jahren Lieferantin der Antragsgegnerin gewesen sei, müsse sie hier Nachteile befürchten, weil alle anderen Bieter auf unsicherer Grundlage kalkulieren müssten. Hingegen sei der zuletzt beauftragte Leistungserbringer mit seinem Kalkprodukt in die zukünftige Angebotsabgabe mit MegaMol-Preis bereits "eingeweiht" gewesen, insbesondere hinsichtlich der neuen Analysemethode der [
] und der Dosierempfehlung für des IV. Quartal (einschließlich Kenntnis der Abrufmengen). Dieser habe daher bereits früher erstellte Laboranalysen zur Neq-Wertbestimmung für sein Angebot vorliegen (dies ergebe sich aus Bieterfrage Nr. 8 zur Aktualisierung der Probenergebnisse). Hieraus erschließe sich auch, warum der Lieferant [
] der Antragstellerin keine Lieferkapazitäten angezeigt habe. Er sei offenbar bereits für den nun ausgeschriebenen Leistungszeitraum gebunden. Dadurch habe der Wettbewerber einen nicht ausgeglichenen Wissens- und Marktvorsprung, denn das Produkt [
] sei von keinem anderen Lieferanten mit dieser Neq-Wert-Güte zu liefern.
Die Antragstellerin beantragt,
1. das Vergabeverfahren Rahmenvereinbarung zum Betrieb des Gewässerbehandlungsschiffes der [
] zur Neutralisation versauerter Tagebaurestgewässer zur Vergabenummer [
] wird nach Rechtsauffassung der Vergabekammer zurückversetzt und die Antragsgegnerin verpflichtet die Leistungsbeschreibung und Preisgestaltung zu modifizieren und den Bietern die Möglichkeit zur Angebotsabgabe zu geben.
2. Hilfsweise wird beantragt: Die Vergabekammer möge die sonstigen geeigneten Maßnahmen anordnen, um die festgestellten Vergaberechtsverstöße zu beseitigen.
3. Es wird festgestellt, dass es erforderlich war, dass die Antragstellerin Verfahrensbevollmächtigte hinzuzieht.
4. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu tragen.
5. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht in die Vergabeakte gewährt.
b) Die Antragsgegnerin beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsverfolgungskosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen;
3. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig. Die Antragstellerin sei mit ihrer Rüge des vermeintlichen Bestehens eines unzumutbaren Kalkulationsrisikos gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Die Rüge verstoße außerdem gegen Treu und Glauben. Die Antragstellerin agiere offenkundig als wirtschaftliche Einheit ([
]) mit dem ihr verbundenen Unternehmen [
]. Dies zeige schon der Umstand, dass die dem Rügeschreiben vom 13. Dezember 2021 beigefügten Schreiben der angefragte Kalklieferanten (Firmen [
]) allesamt an die Firma [
] gerichtet seien. Beide Firmen würden durch [
] mittels derselben Komplementärgesellschaft ([
]) endvertreten. Die [
] habe bereits im vorangegangenen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht, es werde durch die Vergabebedingungen in mehreren Punkten ein unzumutbares Kalkulationsrisiko auferlegt. In der mündlichen Verhandlung am 23. November 2021 seien diese Vorgaben der Vergabeunterlagen und die Neq-Wert-Bestimmung ausführlich mit den Beteiligten erörtert worden. Es sei besprochen worden, dass die Abrechnung (Schwankungsbreite von 15%) nochmals in einer Bieterinformation erläutert werde. Nach der Bieterinformation Nr. 9 habe die [
] am 1. Dezember 2021 ihren Nachprüfungsantrag für erledigt erklärt. Als juristische Person müsse sich die Antragstellerin die Kenntnis des zur Vertretung befugten Geschäftsführers ihrer Komplementärgesellschaft entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen. Den Vergaberechtsverstoß eines vermeintlichen unzumutbaren Kalkulationsrisikos habe sie bereits im Oktober 2021, jedenfalls aber innerhalb von 10 Tagen nach der mündlichen Verhandlung rügen müssen. Die erst am 10. Dezember 2021 erhobene Rüge sei verfristet. Sie verstoße auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens. Mit der Erledigterklärung des Nachprüfungsantrags der [
], habe diese klargestellt, dass sie an ihrer Rüge eines vermeintlich unzumutbaren Kalkulationshindernisses nicht mehr festhalte. Die Antragsgegnerin habe nicht damit rechnen müssen, dass die Antragstellerin als Schwestergesellschaft der [
] den gleichen Vergaberechtsverstoß nochmals zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens machen würde. Das der Antragstellerin zuzurechnende Verhalten des Geschäftsführers verstoße gegen Treu und Glauben.
Den Rügen liege auch kein neuer Sachverhalt zugrunde.
Der Antrag sei zudem unbegründet. Rahmenvereinbarungen ohne Mindestabnahmemengen seien zulässig und üblich. Es bestehe mangels Pflicht zur Vorhaltung des Neutralisationsmittels oder Vorhaltung von Personal auch keine Pflicht zur Festlegung einer Mindestabnahmemenge. Der Auftragnehmer trage weder das Verwendungsrisiko noch Lagerkosten. Die notwendige Bestimmung des Neq-Werts sei bei eventuellen Lieferengpässen innerhalb der 21 Tage-Ausführungsfrist ermittelbar. Die eigentliche Analyse sei innerhalb von 2 Stunden durchzuführen. Das Ergebnis der laborativen Bestimmung liege innerhalb von maximal 2-3 Tagen nach Beauftragung des Labors vor.
Unzumutbare Kalkulationsrisiken lägen nicht vor. Etwaige Preisschwankungen könnten die Bieter durch entsprechende Risikoaufschläge berücksichtigen. Die Laufzeit des Vertrags betrage zudem nur ein Jahr. Preisschwankungen auf dem Markt für Neutralisationsmittel stellten im Übrigen ein branchentypisches Risiko dar. Zudem habe die Antragsgegnerin zugesichert, dass sie Abweichungen des angebotenen Kalkprodukts von dem angebotenen Neq-Wert bis maximal -15% tolerieren werde. Die laborative Ermittlung des Neq-Werts müsse auch nicht durch den jeweiligen Kalklieferanten ermittelt werden. Die Auswahl des Labors obliege dem Bieter, er könne auf ein externes Labor zurückgreifen. Die Abfrage des Neq-Werts und eines Einheitspreises diene gerade dazu, den objektiv ermittelten Wirkungsgrad des Kalkprodukts ins Verhältnis zu dessen Tonnagepreis zu setzen. Dies entspreche dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Die Absagen potenzieller Lieferanten sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass die Antragstellerin versucht habe, das Risiko der Abweichung von mehr als 15% des Neq-Werts auf ihre Lieferanten abzuwälzen. Es sei die eigene unternehmerische Entscheidung der Antragstellerin, ob sie bereit sei, das Risiko selbst zu tragen bzw. gegebenenfalls mit einem Risikozuschlag einzupreisen.
Bezüglich des Schiffs trage der Bieter keine Vorhaltekosten, bezüglich des einzusetzenden Personals verfüge die Antragstellerin als Fachunternehmen über das entsprechende Personal und könne dieses entweder über flexible Arbeitsverträge auf Abruf oder für andere Tätigkeiten einsetzen.
Die Entwicklung des pH-Werts und des Seewasserstands stelle kein unzumutbares Kalkulationsrisiko dar. Die Antragsgegnerin habe die ihr insoweit zur Verfügung stehenden Informationen zu den hydrologischen Werten, zu statistischen Werten, die Anzahl der kurzen und langen Befahrungstage sowie die eingebrachten Mengen an Neutralisationsmittel zur Verfügung gestellt.
Eine Manipulation des Tonnagepreises durch minderwertigen Kalk sei durch die den objektiv ermittelten Wirkungsgrad im Verhältnis zu dessen Tonnagepreis ausgeschlossen. In der Angebotswertung werde mittels der erforderlichen Eintragsmengen sowie der Umlaufzeit des einzusetzenden Produkts in Abhängigkeit zur Lagerungsdichte die produktspezifischen Eintragskosten berechnet. Die Qualität des angebotenen Kalks werde auch bei den LV-Positionen zur Einbringung berücksichtigt.
Einen Wissensvorsprung anderer Bieter gebe es nicht. In der vorherigen Ausschreibung seien die Kalkprodukte von der Antragsgegnerin vorgegeben worden. Die Dosierempfehlung für das IV. Quartal wich im Neq-Wert von dem laborativ ermittelten Wert für die Angebotsabgabe des bisherigen Auftragnehmers ab. Die Antragsgegnerin habe daher eine Rückstellprobe durch ihr Labor prüfen lassen und allen Bietern als Bieterinformation Nr. 8 zur Verfügung gestellt. Dieser Prüfbericht durfte in der Ausschreibung nicht als Nachweis der Laboruntersuchung verwendet werden. Die Antragsgegnerin habe daraufhin die Tolerierung einer negativen Abweichung des NeqWerts von maximal 15% zugesagt. Dies sei transparent gegenüber allen Bietern erfolgt.
Die Vergabekammer hat der Antragstellerin nach vorheriger Zustimmung der Antragsgegnerin Akteneinsicht in die Vergabeakte gewährt, soweit diese keine Geschäftsgeheimnisse enthielt.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Der teilweise unzulässige Nachprüfungsantrag wird im Übrigen zurückgewiesen. Die Entscheidung ergeht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach Lage der Akten, § 166 Abs. 1 Satz 3 1. Alt. GWB.
1. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig.
a) Die Antragstellerin ist grundsätzlich antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB. Die Antragsbefugnis ist für jede erhobene vergaberechtliche Beanstandung gesondert zu prüfen. Das im Sinne der Antragsbefugnis erforderliche Interesse am Auftrag hat sie hinreichend dokumentiert, indem sie im Nachprüfungsantrag ausführt, nunmehr ein Angebot abgeben zu wollen. Unschädlich ist insoweit, dass die Antragstellerin sich im Laufe des Nachprüfungsverfahrens entschieden hat, nunmehr kein Angebot einzureichen. Denn sie beanstandet mit ihrem Vortrag Bedingungen des Vergabeverfahrens, die ihr eine Angebotskalkulation und somit auch die Abgabe eines Angebots nicht ermöglichen.
b) Allerdings ist der Nachprüfungsantrag im Hinblick auf die zuvor bereits von der Schwestergesellschaft [
] im Verfahren VK 1-120/21 vorgetragenen Vergabeverstöße infolge der Erledigterklärung vom 1. Dezember 2021 mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht zulässig.
Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis ist Folge einer Verwirkung des prozessualen Rechts, einen Nachprüfungsantrag einzureichen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2020 - Verg 27/19 unter Verweis auf Beschluss vom 30. April 2008 - Verg 23/08). Unabhängig von der Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrags infolge des Verstreichens der Antragsfrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist eine Verwirkung des prozessualen Rechts, einen Nachprüfungsantrag zu stellen, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB möglich (vgl. Dicks in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160 Rn. 61). Eine Verwirkung greift beispielsweise dann ein, wenn das betroffene Unternehmen bei der Weiterverfolgung der Rüge gegenüber der Vergabestelle den Eindruck erweckt hat, das Unternehmen werde keine Schritte mehr unternehmen, und die Vergabestelle im Vertrauen darauf in dem Vergabeverfahren fortfährt.
Im streitgegenständlichen Fall liegen die Voraussetzungen einer Verwirkung des prozessualen Rechts für mehrere der im vorliegenden Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Vergabeverstöße vor. Das Unternehmen [
] hatte im Nachprüfungsverfahren VK 1-120/21 verschiedene Vergaberechtsverstöße gerügt und unter Einhaltung der Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB zum Gegenstand der Nachprüfung gemacht. So sei ein kalkulierbares Angebot nicht möglich, weil es an einer nachvollziehbaren Kalkulationsgrundlage fehle:
- Es seien Mindestabnahmemengen oder eine Kompensation, z.B. für Lagerhaltung und Logistik, vorzusehen. Auch das Vorhalten von Personal sei ein zusätzlicher Kostenpunkt. Es sei trotz "just in time"-Lieferung mit Kosten zu rechnen, die nicht über die frei abrufbaren Leistungsmengen vergütet werden könnten.
- Auch die Angabe von Jahreszeiten für die Einbringung des Neutralisationsmittels könne die Kalkulationsfähigkeit herstellen.
- Eine Kalkulation für einen Leistungszeitraum von einem Jahr bei einer Vorlaufzeit für den Abruf von 21 Tagen sei betriebswirtschaftlich ausgeschlossen und verschiebe das Risiko einseitig auf den Bieter.
- Das Fehlen einer Mindestabnahmemenge führe jedenfalls zu einem entsprechenden Sicherheitszuschlag der Bieter und damit zu einer unnötigen Verteuerung des Beschaffungsvorgangs.
- Die Antragsgegnerin führe eine neue Berechnungsformel (Neq-Wertbestimmung) ein, die nicht hinreichend und eindeutig beschrieben sei.
- Durch die Umstellung des Beschaffungskonzepts von Tonnage auf Reaktivität (Neq-Wert) verschiebe sich die Forderung nach einem Erfolg im Sinne der Vertragserfüllung (Erreichen und Halten des pH-Werts) und Gewährleistung auf die Bieter.
- Mit der Tolerierung von Abweichungen des Neq-Werts (der eine circa-Angabe einer Tagesanalyse sei) bis maximal 15% (so Bieterinformation Nr. 8) gebe die Antragsgegnerin zu, dass die Tonnage während der Vertragslaufzeit Schwankungen unterworden sei, die vom Bieter nicht beeinflusst werden könne.
- Es sei zudem möglich, dass ein Bieter den Tonnagepreis manipuliere, weil die Reaktivität durch minderwertigen Kalk beeinflusst werde.
Die Geltendmachung der vorgenannten Vergabeverstöße ist aus folgenden Gründen verwirkt: Die [
] erklärte den Nachprüfungsantrag mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten am 1. Dezember 2021 "unter der Maßgabe, dass die auf jeder Seite entstandenen Kosten jede Partei selbst trägt" für erledigt. Zuvor waren in der mündlichen Verhandlung, die von der [
] vorgetragenen Vergaberechtsverstöße von der Vergabekammer im Einzelnen mit deren Vertretern, den Geschäftsführern [
] und [
], sowie ihrem Verfahrensbevollmächtigten erörtert worden. Die Antragsgegnerin sagte zu, in einer weiteren Bieterinformation die vertragliche Tolerierung einer maximal 15%-Abweichung vom angebotenen Neq-Wert klar zu stellen, eine Angabe des NeqWerts in Lieferanten-Produktblättern nicht mehr zu fordern sowie die Angebotsfrist angemessen zu verlängern, um allen Bietern die Durchführung von Laboruntersuchungen (auch mit externen Laboren) zur Neq-Wert-Bestimmung für die Angebotsangabe zu ermöglichen. Nach Umsetzung der durch die Antragsgegnerin zugesagten Klarstellungen und der Verlängerung der Angebotsfrist, erklärte die dortige Antragstellerin, die [
], am 1. Dezember 2021 das Nachprüfungsverfahren für erledigt und verzichtete damit auf die weitere Geltendmachung der im Nachprüfungsverfahren VK 1-120/21 vorgetragenen Vergaberechtsverstöße. Sie kann dieselben Vergabeverstöße daher nicht mehr in einem neuen Nachprüfungsverfahren geltend machen. Insoweit ist eine Verwirkung des prozessualen Rechts, einen Nachprüfungsantrag zu stellen, nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB eingetreten. Denn die [
] hat bei der Weiterverfolgung der Rügen gegenüber der Vergabestelle den unmissverständlichen Eindruck erweckt, sie werde keine Schritte mehr bezüglich der bis zu diesem Zeitpunkt vorgebrachten Vergabeverstöße unternehmen und innerhalb der verlängerten Angebotsfrist ein Angebot einreichen. Die Antragsgegnerin hat im Vertrauen darauf das Vergabeverfahren fortgesetzt.
Die prozessuale Verwirkung der mit Erledigterklärung der [
] im Nachprüfungsverfahren VK 1-120/21 vorgetragenen Vergaberechtsverstöße ist vorliegend der [
] zuzurechnen. Soweit diese die oben aufgeführten Vergabeverstöße im Rahmen des aktuellen Nachprüfungsverfahrens von neuem vorträgt und damit weiterverfolgt, ist ihr das ebenso wie der vorherigen Antragstellerin gemäß § 242 BGB aus dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt.
Denn es ist davon auszugehen, dass beide Unternehmen im vorliegenden Vergabeverfahren der Antragsgegnerin bisher nicht unabhängig voneinander agiert haben. Dies ergibt sich aus mehreren Aspekten: Beide Gesellschaften treten mit einem gemeinsamen Internetauftritt unter dem gemeinsamen Logo der [
]-Gruppe über die [
] auf. Erreichbar sind sie nur über eine einheitliche E-Mail-Adresse unter kontakt@[
].de bzw. personalisierte E-Mail-Adressen mit der Kennung @[
].de. Im Rahmen der Ausschreibung ist in der ersten Phase zunächst die [
] mit Bieterfragen (Nr. 1 und 2) aufgetreten, obwohl der Nachprüfungsantrag VK 1-120/21 von der [
] eingereicht wurde und dort prozessual erklärt wurde, dass diese ein Angebot einreichen wolle. Im aktuellen Nachprüfungsantrag hat die [
] über ihren Verfahrensbevollmächtigten erklärt, nunmehr wolle sie ein Angebot abgeben, während die [
] kein Angebot mehr abgeben werde. Angebote von Kalklieferanten zum Zwecke der Angebotserstellung wurden elektronisch eingeholt und richteten sich an die E-Mail-Kennung @[
].de, so dass eine genaue Zuordnung zu den beiden Unternehmen nicht möglich ist. So erfolgte die Kommunikation mit den Kalklieferanten über die E-Mail-Adressen "[
]@[
].de" oder [
]@[
].de". Aus den vorgenannten Umständen spricht einiges dafür, dass die Teilnahme an der Ausschreibung der Antragsgegnerin im Verbund der [
] erfolgen sollte. Weiter tritt hinzu, dass Personenidentität auf Seiten der Gesellschafter beider Kommanditgesellschaften besteht (Kommanditisten sind [
] und [
]). Beide Kommanditgesellschaften haben denselben Komplementär, die [
]. Hier wiederum besteht Personenidentität mit den Geschäftsführern der [
]. Deren Geschäftsführer [
] und [
] sind in beiden Nachprüfungsverfahren als vertretungsberechtigt aufgetreten. Sie waren in der mündlichen Verhandlung am 23. November 2021 gemeinsam mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten anwesend und haben die geltend gemachten Vergabeverstöße aktiv miterörtert. Da beide Geschäftsführer alle Unternehmen der [
] als vertretungsberechtigte Organe vertreten, ist ihnen die Erledigterklärung als prozessuale Handlung zuzurechnen und erstreckt sich auch auf den aktuellen Nachprüfungsantrag.
c) Eine prozessuale Verwirkung kann nur insoweit nicht angenommen werden, als die Antragstellerin neuen Sachverhalt seit der Erledigterklärung des Nachprüfungsantrags VK 1-120/21 am 1. Dezember 2021 vorträgt In diesem Umfang ist der Nachprüfungsantrag zulässig. Dies gilt, soweit die Antragstellerin folgende Vergaberechtsverstöße geltend macht:
- Eine Unzumutbarkeit der Kalkulation ergebe sich bezugnehmend auf die späteren Bieterinformationen Nr. 11 und 12 vom 3. und 8. Dezember 2021, weil zu Lasten der Bieter eine weit größere Abweichung in der Qualität der Neutralisationsprodukte als die zugesagte Toleranzabweichung von maximal -15% vorliege.
- Eine Rechtsverletzung Antragstellerin bestehe ferner, weil es aufgrund der Konzeption der Ausschreibung nicht möglich sei, Angebote von Lieferanten für die Neutralisationsprodukte zu erhalten. Denn keiner der zwischenzeitlich angefragten Lieferanten habe sich auf die Zusage eines bestimmten Neq-Werts mit oder ohne Schwankungsbreite eingelassen.
- Ein weiterer Vergabeverstoß liege in einem möglichen Wissens- / Marktvorsprung des Vorauftragnehmers hinsichtlich der laborativen Ermittlung der Neq-Werte.
d) Die Antragstellerin hat die zuletzt geltend gemachten Vergaberechtsverstöße im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Kalkulation eines Angebots rechtzeitig im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB mit ihren Schreiben vom 10. und 13. Dezember 2021 gerügt, nämlich spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Anhaltpunkte für eine größere Abweichung in der Qualität der Neutralisationsprodukte als die zugesagte Toleranzabweichung sind nicht ersichtlich (unter lit. a). Eine Angebotsabgabe ist ferner nicht mangels Lieferbereitschaft durch Kalkhersteller unmöglich (lit. b). Ein Wissensvorsprung oder sonstiger Wettbewerbsvorteil des Vorauftragnehmers hinsichtlich der Umstellung der Ausschreibungskonzeption auf Abfrage von Preisen für Mengen in Mol anstelle von Tonnen ist nicht ersichtlich (lit. c).
a) Anhaltspunkte für eine größere Abweichung in der Qualität der Neutralisationsprodukte als die zugesagte Toleranzabweichung sind entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht ersichtlich. Eine Unzumutbarkeit der Kalkulation ist nicht feststellbar.
Der ausgeschriebene einjährige Rahmenvertrag ist im Hinblick auf die drei Leistungspositionen des Neutralisationsmittels mit einem Einheitspreis in Mol, also der physikalischen Stoffmenge anstelle der Masse in Form der Einheit Tonne, unter Berücksichtigung der zugesicherten Tolerierung einer Abweichung des sog. Neq-Werts von maximal -15% vergaberechtlich nicht zu beanstanden und von der Antragstellerin auch - wie gerade dargelegt - in diesem Nachprüfungsverfahren nicht mehr angreifbar. Die Antragstellerin hat die zugesagte Toleranzabweichung des Neq-Werts von 15% im Nachprüfungsverfahren VK 1-120/21 prozessual akzeptiert und kann diese hier nicht mehr geltend machen.
Hinweise dafür, dass es - hierbei handelt es sich um neuen und daher zulässigen Vortrag - aufgrund der später ergangenen Bieterinformationen Nr. 11 und 12 nach Kenntnis der Antragsgegnerin zu Lasten der Bieter eine größere Abweichung (weit mehr als 15%, wie die Antragstellerin meint) in der Qualität der Neutralisationsprodukte als die zugesagte Toleranzabweichung gebe, sind nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat in Bieterinformation Nr. 12 klargestellt, dass die angegebenen größeren Spannweiten des Neutralisationswerts (Neq-Wert) aus Untersuchungen von zehn unterschiedlichen carbonatischen Produkten resultieren. Sie hat dies auch in ihrer Antragserwiderung noch einmal ausgeführt. Aufgrund der Tatsache, dass Kalk ein Naturprodukt ist, ist es auch nicht überraschend, dass bei der Testung verschiedener Produkte eine größere Spannbreite von Neq-Werten zu Tage tritt, als dies bei der Testung desselben Produkts der Fall ist. Dies begründet die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Qualität der Neutralisationsmittel und deren Auswirkung auf den Preis in ihrem Leistungsverzeichnis abzufragen und bei der Preiswertung zu berücksichtigen. Die verbindlich zugesagte Tolerierung der Schwankung in Höhe von 15% bezieht sich vorliegend jedenfalls auf ein und dasselbe Produkt. Anhaltspunkte für eine höhere Abweichung zu Lasten der Bieter sind nicht ersichtlich.
Unabhängig von dieser Feststellung genügt aber aus Sicht der Vergabekammer die von der Antragsgegnerin ausgeschriebene Leistung aber auch grundsätzlich den Anforderungen an eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB. Sie ermöglicht den Bietern in zumutbarer Weise die Angebotskalkulation. Dem öffentlichen Auftraggeber steht ein von den Nachprüfungsinstanzen nur beschränkt überprüfbares Bestimmungsrecht hinsichtlich der Auswahl zu, welche Art von Leistungen mit welchen Merkmalen er nachfragen will (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2018 - Verg 54/17; Beschluss 1. April 2020 - Verg 33/19). Er darf bestimmen, welche materiellen Anforderungen die nachgefragte Leistung zwingend erfüllen muss. Die Antragsgegnerin hat hier ihre Ausschreibungskonzeption aus nachvollziehbaren Gründen umgestellt. Anstelle der reinen Abfrage des Einheitspreises für eine Tonne Neutralisationsmittel möchte sie ein Preisangebot für die vorgesehene physikalische Stoffmenge. So soll z.B. in der Position 01.01.01300 für den anzubietenden Branntkalk ein Einheitspreis für die Menge von 120 Mio. Mol angeboten werden. In den Vergabeunterlagen (als auch einer späteren Bieterinformation) hat die Antragsgegnerin eine Umrechnungsformel in Tonnen mithilfe des Neutralisationswerts mitgeteilt. Die Bieter haben in ihrem Angebot die so umgerechnete Menge in Tonnen neben dem zuvor in einem Labor ermittelten Neq-Wert anzugeben. Damit ist zum einen für den Bietern nach der Umrechnung in Tonnen die Einholung von Angeboten für das Neutralisationsmittel in einer handelsüblichen Liefereinheit möglich. Gleichzeitig wirkt sich die Reaktivität auch auf die Gesamtmenge des Neutralisationsmittels und damit auf die zeitliche Länge des Eintrags und damit auf die Logistik der Abwicklung aus. Je weniger mengenmäßig an Neutralisationsmittel einzubringen ist, desto geringer ist der Aufwand für den Bieter (und umgekehrt). Ohne dass die Antragsgegnerin ein bestimmtes Kalkprodukt vorgibt, kann sie somit allen Bietern ermöglichen, ein Neutralisationsmittel ihrer eigenen Wahl anzubieten. Zur Herstellung der Vergleichbarkeit der Preisangebote ist jedoch mithilfe der Reaktivität der konkreten Produkte und der damit benötigten Menge in Tonnen ein Einheitspreis für die veranschlagte Mol-Menge zu errechnen. Dieser Rechenprozess ist für sich genommen transparent und eindeutig, die Angabe und Abrechnung in Mol lediglich Ergebnis der Umrechnung. Auch ist eine Unzumutbarkeit der Kalkulation auf der Basis von im Angebot verbindlich zugesagten Neq-Werten aufgrund der Tatsache, dass es sich bei Branntkalk (CaO) und CaCO3-basiertem Feststoffen um Naturprodukte handelt, vorliegend nicht ersichtlich. Durch die von der Antragsgegnerin zugesicherten Tolerierung einer Abweichung des sog. Neq-Werts von maximal -15% hat sie einen Risikoausgleich zugunsten der Bieter vorgenommen. Sollte ein Bieter ein darüber hinaus gehendes Risiko bei dem von ihm angebotenen Produkt sehen, müsste er kaufmännisch insoweit Risikozuschläge einkalkulieren. Dies ist ihm vergaberechtlich zuzumuten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. April 2013 - Verg 50/12).
b) Eine Angebotsabgabe ist ferner nicht mangels Lieferbereitschaft durch Kalkhersteller unzumutbar / unmöglich. Die Antragstellerin trägt vor, sie habe keine Lieferzusagen von Kalkherstellern für die einzusetzenden Neutralisationsprodukte erhalten können, denn keiner der zwischenzeitlich angefragten Lieferanten habe sich auf die Zusage eines bestimmten Neq-Werts mit oder ohne Schwankungsbreite eingelassen.
Die von der Antragstellerin vorgelegten Absagen verschiedener Kalklieferanten bestätigen diesen Vortrag nicht. Nach Auffassung der Vergabekammer lassen die vorgelegten E-Mails vielmehr den Eindruck entstehen, dass die Antragstellerin im Rahmen der Angebotsabfrage eigene vertragliche Pflichten gegenüber der Antragsgegnerin und damit einhergehend Risiken des Wirkungsgrads der eingesetzten Neutralisationsprodukte auf die Vorlieferanten verlagern wollte. Dies ergibt sich aus den in Anlage K5 zum Nachprüfungsantrag eingereichten E-Mails verschiedener Kalklieferanten. So teilte die Firma [
] am 6. Dezember 2021 mit:
"auf Grundlage der in der Antwort der [
] benannten Übernahme von Kosten bei Nichterreichen des mittleren Neq-Werts und den daraus resultierenden Mehrmengen ziehen wir unser Angebot über die Lieferung von Kalk- und Kalksteinprodukten unter diesen Bedingungen zurück. Das von Ihnen beschriebene Prozedere zur Probeentnahme und Berechnung von Alkalitäten sehen wir, mit der Bitte um Verständnis, nicht im Handlungs- und Verantwortungsbereich von [
]. Wir liefern entsprechend unserer Datenblätter und können darüber hinaus keine Gewährleistung / Kosten aus in der Anwendung herrschenden Bedingungen im Wasserkörper bzgl. der Neutralisationswirkung im Medium übernehmen."
Erkennbar ist hier, dass die Antragstellerin die ihr obliegende Testung des Neq-Werts und das Risiko von Qualitätsschwankungen des Produkts auf den Lieferanten verlagern wollte. Dies fordert die Ausschreibung gerade nicht. Dem Bieter obliegt der Nachweis des Neq-Werts und eine über die Schwankungsbreite hinausgehende Neutralisation mittels Mehrmengen ist von ihm selbst - gegebenenfalls mit einem Risikozuschlag - zu tragen.
Ähnliches ist der Antwort von [
] vom 10. Dezember 2021 zu entnehmen. Dort heißt es:
"da wir über eine andere Anfrage für das Projekt "[
]" die zusätzlichen Anforderungen der [
] erhalten haben, müssen wir Ihnen hiermit mitteilen, dass die Firma [
] vom Angebot
v. 29.10.21 zurücktritt. Nach mehreren internen Gesprächen mussten wir mit Bedauern feststellen, dass diese Maßnahme für uns nicht kalkulierbar ist."
Die Firma [
] teilte mit, dass
"wir an der Ausschreibung nicht teilnehmen und kein Angebot abgeben."
Lediglich die Firma [
] teilte mit, dass ihr aufgrund der derzeitigen Auftragslage, derzeit keine Kapazitäten für weitere Belieferungen mehr zur Verfügung stünden. Den ersten beiden Absagen ist nicht zu entnehmen, dass die angefragten Kalklieferanten die Antragstellerin nicht grundsätzlich beliefern könnten. Vertragliche Risiken der ausgeschriebenen Leistung sind vielmehr seitens des Leistungserbringers, also des teilnehmenden Bieters, mittels eines eventuellen Risikozuschlags einzukalkulieren. Darüber hinaus ist eine mögliche Verlagerung vertraglicher Risiken auf andere Vertragspartner (wie Vorlieferanten, Nachunternehmer etc.) Sache des Verhandlungsgeschicks eines Bieters. Absagen aufgrund einer nicht erfolgreichen Verlagerung von Risiken sind vorliegend nicht der Antragsgegnerin anzulasten, solange die Risiken der ausgeschriebenen Leistung nicht selbst unzumutbar sind. Dass hier keine Unzumutbarkeit der Kalkulation der Neutralisationsmittel besteht, ist bereits im Rahmen dieses Nachprüfungsverfahrens (siehe dazu oben) gezeigt worden. Die Antragstellerin kann sich daher nicht mit Erfolg darauf berufen, es sei ihr nicht möglich, die für die Leistungserbringung notwendigen Kalkprodukte zu beziehen.
c) Ein vergaberechtswidriger Wissensvorsprung oder sonstiger Wettbewerbsvorteil des Vorauftragnehmers hinsichtlich der Umstellung der Ausschreibungskonzeption auf Abfrage von Preisen für Mengen in Mol anstelle von Tonnen ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht ersichtlich.
Grundsätzlich entspricht es der normalen Rollen- und Risikoverteilung im Wettbewerb, wenn sich ein Vorauftragnehmer an der Ausschreibung eines Folgeauftrags beteiligt. Wettbewerbsvorsprünge eines Bieters, der sich aufgrund der Ausführung eines Vorauftrags bereits auf die Besonderheiten des Auftraggebers eingestellt hat, bedürfen anders als die Mitwirkung eines sog. Projektanten an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens gemäß § 7 VgV keines Ausgleichs durch den Auftraggeber. Hinweise, dass die Vorauftragnehmerin in die Vorbereitung der jetzigen Ausschreibung gemäß § 7 VgV im Hinblick auf die Umstellung der Ausschreibung auf Mol einbezogen war, sind nicht ersichtlich. Die von der Antragstellerin hierfür angeführte Bieterinformation Nr. 8 vom 16. November 2021 besagt lediglich, dass ein Bieter bei der laborativen Ermittlung des Neq-Werts im Rahmen der aktuellen Ausschreibung Abweichungen beim Produkt [
] im Vergleich zur Dosierempfehlung im IV. Quartal für den seinerzeitigen Leistungserbringer entdeckt hatte. Weitere Anhaltspunkte für einen Wissensvorsprung in Bezug auf eine vorzeitige Information des Vorauftragnehmers über die grundlegende Umstellung der Ausschreibung sind nicht ersichtlich. Im Zuge der Teilnahme am aktuellen Vergabeverfahren sind zudem durch jeden Bieter aktuelle NeqWerte für die angebotenen Neutralisationsprodukte zu ermitteln und anzugeben. Ein etwaiger Wissensvorsprung des Vorauftragnehmers würde sich an dieser Stelle - unterstellt er sei gegeben - jedenfalls nicht auswirken. Da die Anwendung der Verfahrensvorschrift durch ein Labor erfolgen muss und nicht durch den Bieter selbst, ist auch hier schon kein Nachteil erkennbar.
Im Übrigen ist mit EU-Bekanntmachung und Abruf der Ausschreibungsunterlagen seit 1. Oktober 2021 allen interessierten Marktteilnehmern die neue Konzeption der Ausschreibung bereits seit geraumer Zeit bekannt. Ein etwaiger Vorteil durch eine vorzeitige Kenntnis wäre aus Sicht der Vergabekammer in zeitlicher Hinsicht, nachdem die Angebotsfristen mehrfach verschoben wurden, jedenfalls ausgeglichen. So ist der zeitliche Aufwand für die Ermittlung der für die Angebotsabgabe notwendigen Neq-Werte der drei Kalkpositionen im Rahmen der verlängerten Angebotsfrist leistbar. Es ergibt sich für keinen Bieter ein zeitlicher Vorsprung. So können nicht nur firmeninterne Labore der Kalklieferanten, sondern auch externe Labore (zumindest aber das von der Antragsgegnerin beauftragte [
]) die notwendigen Analysen durchführen. Der zeitliche Umfang (2-3 Tage bis Eintreffen des Laborergebnisses) erscheint vertretbar, insbesondere unter Berücksichtigung der mehrfachen Verlängerung der Angebotsfrist bis zuletzt 23. Dezember 2021. Ein Vorteil des bisherigen Leistungserbringers ist insoweit nicht ersichtlich.
Auch ein Vorteil des Vorauftragnehmers in Hinblick auf bereits erfolgte Laboruntersuchungen des Neq-Werts - so die Antragstellerin - ist nicht gegeben. Bei bisherigen Ausschreibungen - also auch beim Vorauftrag - war unstreitig keine Überprüfung von Neq-Werten seitens des Auftragnehmers vertraglich vorgesehen. Es gab lediglich zuletzt eine Dosierempfehlung der Antragsgegnerin zum einzubringenden Neutralisationsmittel ([
]) einschließlich entsprechender Laboranalysen. Die Antragsgegnerin hat in der Bieterinformation Nr. 8 alle in diesem Zusammenhang aufgekommenen Fragen im Detail beantwortet. Sie hat zudem darauf hingewiesen, dass der beigefügte Prüfbericht des Labors [
] vom 8. November 2021 zum Produkt [
] von Bietern nicht als Nachweis des Ergebnisses der Laboruntersuchung zu Ermittlung des Neq-Wertes verwendet werden könne. Damit hat sie ausgeschlossen, dass ein Angebot mit dem Produkt [
] im Gegensatz zu anderen Produkten einen Vorteil dadurch hätte, dass der Neq-Wert nicht noch einmal nachgewiesen werden müsste.
Ein sonstiger Wettbewerbsvorteil dadurch, dass ein anderer Bieter den Lieferanten des Produkts [
] (Firma [
]) möglicherweise exklusiv an sich gebunden hat, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin die Ausschreibung produktneutral gestaltet und keine bestimmten Kalksorten vorgeschrieben. Damit hat sie den Bietern mehr Freiheit eingeräumt. Die Antragstellerin hat jedenfalls neben der Firma [
] zu mindestens drei weiteren Kalklieferanten Kontakt aufgenommen, um entsprechende Angebote einzuholen. Zur Sicherstellung einer Vergleichbarkeit der Angebote hat die Antragsgegnerin aber die Angabe des Wirkungsgrads der Kalkprodukte in Form der Neq-Werte und die Umrechnung in den dadurch benötigten Mengenbedarf (in Mol sowie umgerechnet in Tonnen) vorgeschrieben. Damit beugt sie der Gefahr manipulativer Angebote durch minderwertige Neutralisationsprodukte - wie die Antragstellerin befürchtet hat - gerade vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 2, 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 VwVfG.
Die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) sind der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie im Verfahren unterlegen ist.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin war notwendig. In dem Nachprüfungsverfahren stellten sich komplexe Sach- und Rechtsfragen zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsverfahrens infolge Verwirkung und der Unzumutbarkeit der Kalkulation, so dass eine anwaltliche Vertretung notwendig gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06). Zudem wurde so die erforderliche "Waffengleichheit" gegenüber der anwaltlich vertretenen Antragstellerin hergestellt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2019 - Verg 55/18).
IV.
(
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